Predigten vom P. Raniero Cantalamesse

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ingaH
00sabato 17 febbraio 2007 20:53
Ich finde die Predigten von P. Raniero, die in "Zenit" veröffentlicht werden, immer sehr eindrucksvoll. Deshalb habe mal diesen Thread eröffnet. Hier die Predigt vom kommenden Sonntag, 18.2.2007:


P. Raniero Cantalamessa: Die „Goldene Regel“ des christlichen Lebens

Kommentar zum siebten Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C)

ROM, 16. Februar 2007 (ZENIT.org).- Den anderen so behandeln, wie man selbst behandelt werden will, diese große Lebensweisheit steht im Mittelpunkt der Überlegungen des Kapuzinerpaters Raniero Cantalamessa zum kommenden Sonntag. Ausgehend von den Lesungen jenes Tages, der dem Herrn gewidmet ist (1 Sam 26,2.7-9.13,22-23; 1 Kor 15,45-49; Lk 6,27-38), erklärt der Prediger des Päpstlichen Hauses zudem, was Jesus eigentlich gemeint hat, als er sagte, dass man weder richten noch urteilen soll.

* * *


Richtet nicht!

Das Evangelium dieses Sonntags enthält eine Art Moralkodex, der das Leben des Jüngers Christi kennzeichnen soll. Das Ganze ist in der so genannten „Goldenen Regel“ des moralischen Handelns zusammengefasst: „Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen.“ Dies ist eine Regel, die – wenn sie in die Praxis umgesetzt würde – bereits vollends ausreichte, um das Antlitz der Familie und der Gesellschaft, in der wir leben, zu verändern. Das Alte Testament kannte sie in ihrer negativer Fassung: „Was dir selbst verhasst ist, das mute auch einem anderen nicht zu!“ (Tob 4,15) Jesus legt sie in ihrer positiver Fassung vor: „Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen“ – was sehr viel anspruchsvoller ist.

Der Abschnitt aus dem Evangelium aber lässt auch Fragen aufkommen. „Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin, und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd. Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand etwas wegnimmt, verlang es nicht zurück…“ Gebietet Jesus seinen Jüngern also, sich nicht dem Bösen zu widersetzen; den Gewalttätigen freie Hand zu lassen? Wie lässt sich das mit der Notwendigkeit vereinen, den Machtmissbrauch und das Verbrechen zu bekämpfen, es energisch anzuklagen und dabei auch ein Risiko einzugehen? Wie steht es also mit der „Null-Toleranz“, die heute angesichts der weiten Verbreitung der Kleinkriminalität von mehreren Seiten gefordert wird?

Das Evangelium verurteilt diese Notwendigkeit nicht nur nicht, sondern es unterstreicht sie. Es gibt Situationen, in denen die Nächstenliebe es nicht erfordert, die andere Wange hinzuhalten, sondern geradewegs zur Polizei zu gehen und den Fall anzuzeigen. Die Goldene Regel, die für jeden Fall gilt – so haben wir gehört –, besteht darin, den anderen das zu tun, was man für sich selbst erwartet. Wenn du zum Beispiel Opfer eines Diebstahls, eines Raubüberfalls oder einer Erpressung geworden bist oder wenn dir jemand ins Auto gefahren ist, so wärest du mit Sicherheit froh, wenn der, der dabei war, dazu bereit wäre, zu deinen Gunsten Zeugnis abzulegen. Im Evangelium wird gesagt, dass du dasselbe auch den anderen tun sollst, ohne dich hinter dem üblichen „Ich habe nichts gesehen, ich weiß von nichts“ zu verstecken. Das Verbrechen gedeiht auf dem Boden der Angst und der „omertà“, der angstvoll zustimmenden Verschwiegenheit.

Schauen wir uns aber die in einem gewissen Sinn noch bedrohlicheren Worte des morgigen Evangeliums an: „Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden.“ Heißt das also, Tore auf für die Straflosigkeit? Und was sollen wir dann über die Justizbeamten sagen, die sich von Berufswegen ganz dem Richten widmen? Sind sie von vornherein vom Evangelium verurteilt worden?

Das Evangelium ist nicht so naiv und unrealistisch, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte. Es befiehlt uns nicht so sehr, jedes Urteil aus unserem Leben zu verbannen, sondern vielmehr das Gift aus unseren Urteilen! Das heißt also: jenen Anteil von Groll, von Verweigerung, von Rache, der sich oft mit der objektiven Bewertung einer Tatsache vermischt. Dem Gebot Jesu „Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden“ folgt unmittelbar, wie wir gesehen haben, das Gebot: „Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden“ (Lk 6.37). Der zweite Satz dient dazu, den Sinn des ersten zu erklären.

Es sind die „grausamen“ Urteile, die keine Barmherzigkeit kennen, die vom Wort Gottes verurteilt werden; jene Urteile, die zusammen mit der Sünde auch den Sünder verurteilen, ohne auf dessen Berufung einzugehen. Richtigerweise lehnt das Gewissen der zivilisierten Welt die Todesstrafe fast einmütig ab. In ihr hat nämlich der Aspekt der Rache seitens der Gesellschaft und der Vernichtung des Schuldigen mehr Gewicht als der Aspekt der Selbstverteidigung und der Abschreckung vor dem Verbrechen, was mit anderen Strafmethoden nicht weniger wirksam erzielt werden könnte. Manchmal wird bei diesen Gelegenheiten ein Mensch getötet, der jemand völlig anderer ist als der, der das Verbrechen begangen hat – weil er in der Zwischenzeit bereut und sich radikal verändert hat.

ingaH
00domenica 25 febbraio 2007 14:00
P. Raniero Cantalamessa: Alle sind eingeladen, „zu beten und die Stimme des Vaters zu hören“


ROM, 23. Februar 2007 (ZENIT.org).- Der Gang Jesu in die Wüste ist nach Worten von P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., des Predigers des Päpstlichen Hauses, für jeden von uns eine Aufforderung zum vertraulichen Gespräch mit Gott. Der Kapuzinerpater weist ausgehend von den Lesungen des ersten Fastensonntags (Deut 26,4-10; Röm 10,8-13; Lk 4,1-13) zudem darauf hin, wie man im Kampf gegen das Böse bestehen kann: indem man nicht von der Seite Jesu weicht.

* * *


Er wurde vom Teufel versucht

Das Evangelium des Lukas, das wir in diesem Jahr lesen, wurde – wie der Autor selbst in der Einleitung sagt – deshalb geschrieben, damit sich der gläubige Leser „von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen“ kann, in der er unterwiesen wurde (vgl. Lk 1,14).

Diese Motivation ist von außerordentlicher Aktualität. Angesichts der Kämpfe, die von allen Seiten gegen die Geschichtlichkeit des Evangeliums geführt werden, wie auch angesichts der keine Grenzen kennenden Manipulation der Gestalt Jesu ist es umso wichtig, dass sich der Christ und jeder ehrliche Leser des Evangeliums heute über die Zuverlässigkeit der darin berichteten Lehren und Nachrichten klar wird.

Ich habe daran gedacht, die Kommentare zu den Evangelien vom ersten Sonntag der Fastenzeit bis zum Weißen Sonntag in diesem Sinn fruchtbar werden zu lassen. Wir werden jedes Mal vom Sonntagsevangelium ausgehen und dann den Blick auf einen Ausschnitt oder einen Aspekt der Person und der Lehre Christi richten, die mit diesem Ziel verbunden sind: um zu entdecken, wer Jesus wirklich war – ein einfacher Prophet und ein großartiger Mensch, oder eben doch mehr, ein anderer. Wir möchten mit anderen Worten auch ein bisschen religiöse Kultur betreiben. Phänomene wie Dan Browns Buch „Sakrileg“ mit den Nachahmungen und Diskussionen, die es hervorgebracht hat, ließen die allarmierende religiöse Unwissenheit zum Vorschein kommen, die unter den Leuten herrscht und die zu einem idealen Nährboden wird für jede nur denkbare kommerzielle Unternehmung.

Das Evangelium vom ersten Sonntag der Fastenzeit ist jenes von der Versuchung Jesu in der Wüste. Entsprechend dem angekündigten Plan, möchte ich von diesem Evangelium ausgehen, um das Hauptaugenmerk dann auf das allgemeinere Problem der Haltung Jesu gegenüber den teuflischen Mächten und den vom Teufel Besessenen zu richten.

Es ist eine unleugbare Tatsache – eine jener Tatsachen, die im historischen Sinn am gesichertsten sind –, dass Jesus zahlreiche Menschen von der zerstörerischen Macht des Satans befreit hat. Wir haben hier nicht die Zeit, an alle Episoden zu erinnern. Wir beschränken uns darauf, zwei Dinge hervorzuheben: erstens die Erklärung, die Jesus für seine Autorität über das Dämonische gab, und zweitens, was uns diese Autorität über ihn und seine Person sagt.

Angesichts der Aufsehen erregenden Befreiung, die Jesus bei einem Besessenen erwirkt hat, sagen seine Feinde, da sie diese Tatsache nicht leugnen konnten: „Mit Hilfe von Beelzebul, dem Anführer der Dämonen, treibt er die Dämonen aus“ (Lk 11,15). Jesus beweist ihnen, dass diese Erklärung absurd ist (wenn also der Satan mit sich selbst im Streit läge, so wäre seine Herrschaft schon seit langem zu Ende; sie gedeiht aber weiter). Die Erklärung ist eine andere: Er treibt die Dämonen mit dem „Finger“ Gottes aus, das heißt mit dem Heiligen Geist – und das beweist, dass das Reich Gottes auf Erden angebrochen ist.

Satan war der „starke Mann“, der die Menschheit in seiner Gewalt hatte; jetzt aber ist einer gekommen, der „stärker ist als er“, der ihn in seiner Macht entkleidet. Das sagt uns etwas Großartiges über die Person Jesu Christi: Mit seinem Kommen hat für die Menschheit eine neue Ära begonnen, ein Wandel im Lauf der Dinge. So etwas kann nicht das Werk eines gewöhnlichen Menschen sein, und ebenso wenig das Werk eines großen Propheten.

Es ist wichtig, auf den Namen oder die Autorität zu achten, die es Jesus ermöglicht, die Dämonen auszutreiben. Die übliche Formel, mit der sich der Exorzist an den Dämon wendet, lautet: „Ich beschwöre dich…“, oder: „Im Namen… befehle ich dir, diese Person zu verlassen.“ Der Exorzist beruft sich also auf eine höhere Autorität, die im Allgemeinen die Autorität Gottes ist und für die Christen die Autorität Jesu. Nicht so Jesus: Er wendet sich an den Dämon mit einem trockenen: „Ich befehle dir.“ Ich befehle dir! Jesus hat es nicht nötig, sich auf eine höhere Autorität zu berufen – er ist die höhere Autorität!

Die Niederlage der Macht des Bösen und des Teufels war integraler Bestandteil des von den Propheten angekündigten endgültigen (eschatologischen) Heils. Jesus fordert seine Gegner auf, die Konsequenzen aus dem zu ziehen, was sie mit ihren eigenen Augen sehen: Man muss also nicht warten oder nach vorne schauen; das Reich und das Heil ist mitten unter ihnen.

So erklärt sich der viel diskutierte Ausspruch über den Fluch gegen den Heiligen Geist. Dem Geist des Bösen, Beelzebul, oder der Magie das zuzuschreiben, was so offensichtlich Werk des Geistes Gottes war, bedeutete, hartnäckig die Augen vor der Wahrheit zu verschließen, sich gegen Gott selbst zu stellen und sich so der Möglichkeit seiner Vergebung zu berauben.

Der geschichtliche und formative Zuschnitt, den ich diesen Fastenzeitkommentaren zu geben beabsichtige, darf uns nicht daran hindern, dem Evangelium des Tages jedes Mal auch eine praktische Anregung zu entnehmen. Das Böse wirkt auch heute um uns herum. Wir sind mit Formen von Bosheit konfrontiert, die oft über unsere Verstandeskraft hinausgehen; angesichts gewisser Ereignisse sind wir bestürzt und es fehlen uns die Worte. Die tröstliche Botschaft, die den bisher unternommenen Überlegungen entspringt, ist: Mitten unter uns ist einer, der „stärker“ ist als das Böse. Der Glaube bringt uns nicht in Sicherheit, lässt uns dem Bösen und dem Leiden nicht entkommen, aber er versichert uns, dass wir mit Christus sogar das Böse zum Guten wenden können, dass es wir es für unser Heil und für das Heil der Welt dienstbar machen können.

Einige Menschen erfahren im eigenen Leben oder im eigenen Haus eine Präsenz des Bösen, die direkt vom Teufel zu kommen scheint. Manchmal ist es wirklich so (wir wissen um die Verbreitung der satanischen Sekten und Riten in unserer Gesellschaft, besonders unter den Jugendlichen); es ist aber schwierig, in den einzelnen Fällen zu erkennen, ob es sich wirklich um Satan handelt oder um Störungen krankhaften Ursprungs. Glücklicherweise ist es nicht notwendig, sich über die Ursachen Gewissheit zu verschaffen. Was zu tun ist, ist Folgendes: nicht von der Seite Christi zu weichen – durch den Glauben, die Anrufung seines Namens, den Empfang der Sakrament.

Das Sonntagsevangelium rät uns, uns inmitten dieses Kampfes eines Hilfsmittels zu bedienen, das zu hegen vor allem in der Fastenzeit wichtig ist: Jesus ging nicht in die Wüste, um versucht zu werden; seine Absicht war, sich in die Wüste zurückzuziehen, um zu beten und die Stimme des Vaters zu hören.

In der Geschichte hat es Heerscharen von Männern und Frauen gegeben, die den Entschluss gefasst haben, diesen Jesus nachzuahmen, der sich in die Wüste zurückzieht. Die Aufforderung aber, Jesus in die Wüste nachzufolgen, richtet sich nicht nur an Mönche und Eremiten. Sie richtet sich auch – auf andere Weise – an jeden von uns. Die Mönche und Eremiten haben einen „Wüstenraum“ gewählt; wir sollten uns wenigstens eine „Wüstenzeit“ wählen.

Zeit in der Wüste zu verbringen heißt: um uns herum ein kleinwenig Leere und Schweigen zu schaffen; den Weg unseres Herzens neu zu entdecken, uns dem Lärm und den äußeren Anregungen zu entziehen, um mit den tiefsten Quellen unseres Seins und unseres Glaubens in Kontakt zu treten.
@Andrea M.@
00venerdì 9 marzo 2007 19:21
Die Predigt vom 02. März 2007
P. Raniero Cantalamessa: Die Verklärung Christi, Trost und Stärkung


Kommentar zum Evangelium des zweiten Fastensonntags (Jahreskreis C)


ROM, 2. März 2007 (ZENIT.org).- Die Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor ist für den Christen Anlass zu großer Freude und Hoffnung, unterstreicht P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., Prediger des Päpstlichen Hauses, in seinem Kommentar zum kommenden Sonntag (Gen 15,5-12.17-18; Phil 3,17-4,1; Lk 9,28b-36). „Der Mensch hat nicht einen Leib, er ist Leib“, erklärt er. Das Christentum predige nicht die Erlösung vom Leib, sondern das „Heil des Leibes“.

* * *

Er stieg auf den Berg, um zu beten

Das Sonntagsevangelium handelt von der Verklärung. Lukas gibt in seinem Evangelium auch den Grund an, weswegen Jesus an jenem Tag „auf einen Berg stieg“: Er stieg hoch, „um zu beten“. Es war das Gebet, das sein Gewand weiß wie Schnee und sein Antlitz leuchtend wie die Sonne machte. Entsprechend dem Programm, das wir letztes Mal dargelegt haben, wollen wir von dieser Episode ausgehen, um den Platz zu ergründen, den das Gebet im ganzen Leben Christi einnimmt – und was uns das über die tiefe Identität seiner Person sagt.

Jemand hat einmal gesagt: „Jesus ist ein jüdischer Mensch, der sich nicht als Gott fühlt. Denn man betet nicht zu Gott, wenn man meint, Gott gleich zu sein.“ Lassen wir das Problem, was Jesus über sich selbst denkt, für einen Augenblick beiseite; wir sehen jedenfalls, dass diese Behauptung nicht einer elementaren Wahrheit entbehrt: Jesus ist auch Mensch, und er lebt als Mensch, der betet. Gott könnte auch keinen Hunger oder Durst haben, er müsste nicht leiden. Jesus aber hat Hunger und Durst, und er leidet, weil er auch Mensch ist.

Ja, noch mehr: Wir werden sehen, dass es gerade das Gebet Jesu ist, das es uns gestattet, einen Blick auf das tiefe Geheimnis seiner Person zu werfen. Es ist eine historisch erwiesene Tatsache, dass sich Jesus in seinem Gebet an Gott wandte und ihn „Abbá“ nannte, das heißt „lieber Vater“, „mein Vater“ beziehungsweise sogar „mein Papa“. Diese Weise, sich Gott zuzuwenden, ist – auch wenn sie vor Jesus nicht gänzlich unbekannt war – für Christus so charakteristisch, dass sie uns förmlich dazu zwingt zuzugeben, dass zwischen ihm und dem himmlischen Vater eine einzigartige Beziehung besteht.

Hören wir eines dieser Gebete Jesu, das Matthäus wiedergibt: „In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,25-27). Wie wir sehen, besteht zwischen Vater und Sohn eine totale Gegenseitigkeit, eine „enge familiäre Beziehung“. Auch aus dem Gleichnis von den bösen Winzern geht klar hervor, dass es zwischen Sohn und Vater eine einzigartige Beziehung gibt, die sich von der Gottesbeziehung aller anderen, die „Knechte“ genannt werden (vgl. Mk 12,1-10), unterscheidet.

An diesem Punkt könnte allerdings ein Einwurf gemacht werden: Warum hat sich Jesus zu Lebzeiten denn nie offen den Titel „Sohn Gottes“ gegeben, sondern von sich immer als dem „Menschensohn“ gesprochen? Der Grund dafür ist derselbe, weswegen Jesus nie behauptet hat, der „Messias“ zu sein – als ihn andere diesem Namen geben, ist er zurückhaltend oder verbietet es sogar, davon zu sprechen. Der Grund für diese Verhaltensweise Jesu ist, dass die Menschen von diesen Titeln eine ziemlich konkrete Vorstellung hatten, die allerdings nicht der Vorstellung entsprach, die Jesus von seiner Sendung hatte.

„Sohn Gottes“ wurden in gewissem Sinn alle genannt: Könige, Propheten, die großen Menschen. Unter „Messias“ verstand man den Gesandten Gottes, der die Feinde mit militärischen Mitteln kämpfen und in Israel herrschen würde. Das war auch die Richtung, in die der Teufel Jesus mit seinen Versuchungen in der Wüste zu drängen suchte… Selbst seine Jünger verstanden das nicht; sie fuhren fort, von einer ruhmreichen Zukunft und von Macht zu träumen. Jesus hatte aber nicht vor, ein derartiger Messias zu werden. „Ich bin nicht gekommen“, so sagte er, „um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen“. Er ist nicht gekommen, um jemandem das Leben zu nehmen, sondern „sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“.

Christus hatte leiden und sterben müssen, damit verstanden wurde, was für ein Messias er war. Es ist symptomatisch, dass sich Jesus gerade dann das einzige Mal zum Messias erklärte, als er kurz vor seiner Verurteilung zum Tod vor dem Hohenpriester in Ketten stand und es nunmehr keine Möglichkeit des Missverständnisses mehr gab: „Ich bin es!“ (Mk 14,61f).

Alle Titel und Bezeichnungen, mit denen die Menschen, Freunde und Feinde, Jesus zu Lebzeiten zu titulieren versuchten, erscheinen einengend und unzureichend. Er ist ein Meister, „nicht aber wie die anderen Meister“, denn er lehrt mit Autorität und in eigenem Namen. Er ist der Sohn Davids, aber er ist auch der Herr Davids; er ist mehr als ein Prophet, mehr als Jonas, mehr als Salomon. Die Frage, die sich die Leute stellten: „Wer ist denn dieser?“, bringt gut das Gefühl zum Ausdruck, was sich um ihn herum wie ein Geheimnis breit machte, etwas, was man sich nicht in menschlichen Begriffen erklären konnte.

Der Versuch gewisser Kritiker, Jesus auf einen normalen Juden seiner Zeit zu reduzieren, der nichts Besonderes gesagt und getan hätte, steht im vollkommenen Gegensatz zu den Fakten über sein Leben, die historisch gesehen die größte Sicherheit bieten; und dies erklärt sich nur durch die vorurteilsbehaftete Ablehnung, die Unmöglichkeit zuzugeben, dass in der Geschichte des Menschen etwas Transzendentes erscheinen kann. Unter anderem erklärt das nicht, wie ein so gewöhnliches Wesen (laut denselben Kritikern) zu „dem Menschen geworden ist, der die Welt verändert hat“.

Kehren wird jetzt zur Episode der Verklärung zurück, um daraus einige praktische Lehren zu ziehen. Auch die Verklärung ist ein Geheimnis „für uns“, sie betrifft uns zutiefst. Der heilige Paulus sagt in der zweiten Lesung: „Der Herr Jesus wird unseren armseligen Leib verwandeln in die Gestalt seines verherrlichten Leibes.“ Der Berg Tabor ist ein Fenster, das sich hin auf unsere Zukunft öffnet. Er versichert uns, dass auch die Undurchsichtigkeit unseres Leibes sich eines Tages im Licht verklären wird. Er ist aber auch ein Scheinwerfer, der auf unsere Gegenwart gerichtet ist. Er rückt das ins Licht, was unser Leib jenseits allen armseligen Scheins schon jetzt ist: der Tempel des Heiligen Geistes.

Der Leib ist für die Bibel kein zu vernachlässigendes Anhängsel des menschlichen Wesens. Er ist dessen integraler Bestandteil. Der Mensch hat nicht einen Leib, er ist Leib. Der Leib wurde direkt von Gott geschaffen, vom Wort in der Fleischwerdung angenommen und vom Heiligen Geist in der Taufe geheiligt. Der biblische Mensch ist angesichts des Glanzes des menschlichen Leibes verzaubert: „Denn du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter. Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke“ (Ps 139). Der Leib ist dazu bestimmt, in Ewigkeit dieselbe Herrlichkeit der Seele zu teilen. „Leib und Seele werden entweder zwei in ewigem Gebet gefaltete Hände sein oder zwei Hände, denen für eine ewige Gefangenschaft die Handschellen angelegt sind“ (Ch. Péguy). Das Christentum predigt das Heil des Leibes, nicht das Heil losgelöst vom Leib, wie es in der Antike die manichäischen und gnostischen Religionen taten und wie es noch heute einige orientalische Religionen tun.

Was aber kann man dem sagen, der leidet? Dem, der bei der „Entklärung“ des eigenen Leibes oder des Leibes eines lieben Menschen dabei sein muss? An sie richtet sich die vielleicht tröstlichste Botschaft der Verklärung: „Er wird unseren armseligen Leib verwandeln in die Gestalt seines verherrlichten Leibes.“

Die durch Krankheit und Tod erniedrigten Leiber werden losgekauft. Auch Jesus wird bald in seinem Leiden „entklärt“ werden – aber er wird mit einem verherrlichten Leib auferstehen, mit dem er in Ewigkeit lebt und von dem uns der Glaube sagt, dass wir uns mit ihm nach dem Tod wieder vereinigen werden.

ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals

[Modificato da @Andrea M.@ 09/03/2007 19.22]

@Andrea M.@
00venerdì 9 marzo 2007 19:28
Zur Person
Wer ist eigentlich Pater Raniero Cantalamessa, ofmcap

Pater Raniero Cantalamessa

Der Kapuzinermönch wurde am 22. Juli 1934 in Colli del Tronto (AP) geboren. Die Priesterweihe empfing er 1958. In Freiburg (Schweiz) wurde er zum Doktor der Theologie promoviert, an der Katholischen Universität Sacro Curo, Mailand, promovierte er in Klassischer Philologie.

In Mailand lehrte er als ordentlicher Professor Alte Kirchengeschichte und Patristik und war Leiter der Abteilung für Religionswissenschaften an der Katholischen Universität. 1975 berief ihn der Papst in die internationale Theologenkommission. Bis 1981 gehörte er ihr an.

1979 gab er seine Lehrtätigkeit auf, um sich ganz der Verkündigung zu widmen. Seit 1980 ist er Prediger des päpstlichen Hauses. In dieser Aufgabe hält er jede Woche im Advent und in der Fastenzeit einen geistlichen Vortrag für den Papst, die Kardinäle, Bischöfe und Generaloberen der Ordensgemeinschaften.

Er wird in viele Teile der Welt eingeladen. Seine Bücher sind in 15 Sprachen übersetzt. Seit sieben Jahren moderiert P. Raniero im italienischen Fernsehsender „Rai Uno“ jeden Samstag eine fünfzehnminütige Sendung zum Sonntagsevangelium

Quelle: cantalamessa.org

[Modificato da @Andrea M.@ 09/03/2007 19.30]

@Andrea M.@
00sabato 10 marzo 2007 17:21
Kommentar zum dritten Fastensonntag
P. Raniero Cantalamessa: Die Bekehrung, „eine Möglichkeit, ja nahezu ein Recht“

Kommentar zum Evangelium des dritten Fastensonntags (Jahreskreis C)

ROM, 9. März 2007 (ZENIT.org).- Schweres Unheil ist keine göttliche Bestrafung, sondern sollte den Christen dazu aufrufen, über die Vergänglichkeit des Lebens nachzudenken und sich Gott zuzuwenden, erklärt P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., Prediger des Päpstlichen Hauses, in seinem Kommentar zum kommenden Sonntag (Ex 3,1-8a.13-15; 1 Kor 10,1-6.10.12; Lk 13,1-9). „Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass die Bekehrung nicht nur eine Pflicht ist. Sie ist für alle auch eine Möglichkeit, ja nahezu ein Recht“, unterstreicht er.


Der predigende Jesus

Das Evangelium des dritten Fastensonntags bietet uns ein typisches Beispiel der Verkündigung Jesu: Er lässt sich von einem Tagesereignis anregen – die Ermordung mehrerer Galiläer auf Befehl von Pilatus und der Einsturz eines Turms, der achtzehn Opfer fordert –, um von der Notwendigkeit zu sprechen, wachsam zu sein und sich zu bekehren. Wie es zu seinem Stil gehört, bekräftigt er seine Lehre mit einem Gleichnis: „Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum...“ Dem Programm folgend, das wir für diese Fastenzeit festgesetzt haben, werden wir mit diesem Abschnitt beginnen, um unseren Blick der gesamten Verkündigung Jesu zuzuwenden. Dabei werden wir versuchen zu verstehen, was sie uns bezüglich der Frage sagt, wer Jesus war.

Jesus begann seine Verkündigung mit einer feierlichen Erklärung: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15). Wir haben uns an den Klang dieser Worte gewöhnt und nehmen ihre Neuheit und ihren revolutionären Charakter gar nicht mehr wahr. Mit ihnen sagte Jesus: Die Zeit des Wartens ist vorbei; die Stunde des entscheidenden göttlichen Eingriffs in die Geschichte der Menschheit, die von den Propheten angekündigt wurde, hat geschlagen. Diese Zeit ist jetzt gekommen! Jetzt entscheidet sich alles, und es entscheidet sich gemäß der Einstellung, die jeder gegenüber meinen Worten einnehmen wird.

Dieses Gefühl der Vollendung, des letztlich erreichten Ziels nehmen wir in verschiedenen Aussprüchen Jesu wahr, deren geschichtliche Authentizität nicht angezweifelt werden kann. Eines Tages wandte sich Jesus an die Jünger und sagte zu ihnen allein: „Selig sind die, deren Augen sehen, was ihr seht. Ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört“ (Lk 10,23-24).

In der Bergpredigt sagt Jesus unter anderem: „Ihr habt gehört, dass (durch Moses!) gesagt worden ist..., ich aber sage euch…“ Stellen wir uns vor, dass ein Prediger auf die Kanzel steigt und zu sagen beginnt: „Ihr habt gehört, dass Jesus euch gesagt hat..., ich aber sage euch…“

Der Eindruck, den Jesu Worte auf seine Zeitgenossen gemacht haben müssen, war nicht sehr viel anders. Gegenüber derartigen Behauptungen gibt es nicht viele Erklärungen: Entweder ist der, der spricht, ein überspannter Verrückter, oder er sagt ganz einfach die Wahrheit. Ein Verrückter lebt und stirbt jedoch nicht so, wie Jesus es getan hat, und er erschüttert auch nicht die Menschheit aus einer Entfernung von zwanzig Jahrhunderten seit seinem Tod.

Die Neuheit der Person und der Verkündigung Jesu kommt im Vergleich mit Johannes dem Täufer deutlich zum Vorschein: Johannes sprach stets von etwas Zukünftigem, einem Gericht, das sich bald ereignen sollte; Jesus hingegen sprach von etwas Gegenwärtigem, von einem Reich, das gekommen ist und das wirkt. Johannes ist der Mensch des „Noch Nicht“, Jesus ist der Mensch des „Schon“.

Jesus sagt: „Unter allen Menschen gibt es keinen größeren als Johannes; doch der Kleinste im Reich Gottes ist größer als er“ (Lk 7,28); und: „Bis zu Johannes hatte man nur das Gesetz und die Propheten. Seitdem wird das Evangelium vom Reich Gottes verkündet, und alle drängen danach, hineinzukommen“ (Lk 16,16). Diese Worte erklären, dass es zwischen dem Auftrag des Johannes und der Sendung Jesu einen Qualitätssprung gegeben hat: Der kleinste in der neuen Ordnung befindet sich in einer besseren Position als der größte der alten Ordnung. Das waren auch die Gründe, die die Schüler Bultmanns (Bornkamm, Konzelmann…) bewogen, sich von ihrem Meister zu trennen, und die stärkste Trennlinie zwischen dem Alten und dem Neuen, zwischen Judentum und Christentum, in das Leben und die Verkündigung Christi zu setzen und nicht in den Glauben der Kirche nach der Auferstehung.

Daraus geht klar hervor, dass die These geschichtlich unhaltbar ist, der zufolge Jesus im Inneren der zeitgenössischen jüdischen Welt eingeschlossen und wie ein Jude – den anderen gleich – behandelt worden wäre; der weder vorgehabt hätte, mit der Vergangenheit zu brechen, noch etwas fundamental Neues zu bringen. Mit so etwas wird die geschichtliche Erforschung Jesu in ein Stadium zurückversetzt, das seit langem überholt ist.

Kehren wir nun wie gewohnt zum Sonntagsevangelium zurück, um daraus einige praktische Lehren zu ziehen. Auf die Nachricht des von Pilatus vollbrachten Blutbads und des Einsturzes des Turms von Schiloah kommentiert Jesus: „Meint ihr, dass nur sie Schuld auf sich geladen hatten, alle anderen Einwohner von Jerusalem aber nicht? Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt.“ Wir können daraus eine äußerst wichtige Lehre ziehen. Das Unglück ist nicht, wie manche meinen, Zeichen einer göttlichen Bestrafung der Betroffenen; es ist allenfalls eine Warnung an jene, die verbleiben.

Es ist notwendig, in diesem Licht das schreckliche Unheil zu betrachten, das jeden Tag auf der Erde geschieht – häufig unter den ärmsten und schutzlosesten Völkern –, um nicht den Glauben zu verlieren. Jesus lehrt uns, wie wir reagieren sollten, wenn uns das Fernsehen abends Nachrichten von Erdbeben, Überflutungen oder Massakern, wie jenes des Pilatus vor Augen führt: nicht mit einem fruchtlosen „Oh, die Armen!“, sondern indem wir das zum Anlass nehmen, um über die Unsicherheit des Lebens nachzudenken, über die Notwendigkeit, bereit zu sein und sich nicht übertrieben an etwas zu klammern, was uns von einem Tag auf den anderen verloren gehen kann.

In diesem Abschnitt des Evangelium erklingt das gleiche Wort, mit dem Jesus seine Verkündigung begann: Bekehrung. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass die Bekehrung nicht nur eine Pflicht ist. Sie ist für alle auch eine Möglichkeit, ja nahezu ein Recht. Das ist eine gute, nicht eine schlechte Nachricht! Niemand ist von der Möglichkeit, sich zu ändern, ausgenommen. Niemand kann als unrettbar gelten. Es gibt im Leben moralische Situationen, die ausweglos erscheinen: Wiederverheiratete Geschiedene, Paare mit Kindern, die zusammenleben ohne verheiratet zu sein, schwere Strafen im Vorleben, Konditionierungen jeglicher Art.

Auch für sie besteht die Möglichkeit der Wandlung. Als Jesus sagte, dass es leichter für ein Kamel sei, durch ein Nadelöhr zu gehen, als für einen Reichen in das Himmelreich zu gelangen, fragten die Apostel: „Wer kann dann noch gerettet werden?“ Jesus antwortete mit einem Satz, der auch für die Fälle, die ich genannt habe, gültig ist: „Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott“ (vgl. Mk 10,25-27).

ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals
@Andrea M.@
00sabato 10 marzo 2007 17:23
Predigt zur Fastenzeit im Vatikan und Literatur
P. Raniero Cantalamessa warnt vor der Heuchelei

Erste Predigt in der Fastenzeit vor Papst und Kurie

Siehe Eintrag von IngaH ein Stück weiter unten.

Letzter Satz der Predigt lautet vollständig: [„wenn die Seligpreisung derer, die ein reines Herz haben, uns helfen könnten, in uns das Heimweh nach einer sauberen, wahren, aufrichtigen Welt ohne religiöse oder laikale Heuchelei wach zu halten; einer Welt, in der die Taten den Worten, die Worte den Gedanken und die Gedanken des Menschen] den Gedanken Gottes entsprächen.“


Literatur von Pater Raniero Cantalamessa


R. Cantalamessa, Ingrid Stampa: Gottheit tief verborgen. Das Geheimnis der Eucharistie im Licht großer Hymnen, Herder, September 2006, ISBN 345129253X

R. Cantalamessa: Komm, Schöpfer Geist. Betrachtungen zum Hymnus Veni Creator Spiritus, Herder, Juni 2006, ISBN 3451270137

R. Cantalamessa: Die Kirche lieben. Meditationen zum Epheserbrief, Herder, Januar 2005, ISBN 3451285649

R. Cantalamessa: Als neuer Mensch leben. Die geistliche Botschaft des Römerbriefes, Herder, Mai 2003, ISBN 3451280205

R. Cantalamessa: Jesus Christus. Der Heilige Gottes. Adamas Verlag, Köln, 2002.

R. Cantalamessa: Das Oster-Geheimnis. Adamas Verlag, Köln, 2000, ISBN 3925746846

R. Cantalamessa: Das Kreuz, Gottes Kraft und Weisheit. Adamas Verlag, Köln, 1999.

R. Cantalamessa: Die Eucharistie. Unser Heil Adamas Verlag, 1998.

R. Cantalamessa: Das Leben in Christus. Ein Glaubenskurs der Erneuerung. Verlag Styria, Graz, Wien, 1990.

R. Cantalamessa: Maria. Adamas Verlag, Köln, 1994, ISBN 3925746706

R. Cantalamessa: Ehre sei Gott. Friede den Menschen. Betrachtungen zum Geheimnis der Menschwerdung. Neue Stadt Verlag GmbH: München, 1988.

R. Cantalamessa: Was Taufe im Heiligen Geist bedeutet [in (?)] "Wenn Gott den Stecker in die Steckdose Steckt" 22 (1992, 4) 16-19.

R. Cantalamessa: Die Kirche. Sakrament des Lebens, in: J. Koller (Hrsg): Erneuerung der Seelsorge aus der Kraft des Geistes, Verlag Styria Graz, Wien, Köln, 1985, 107-126.

R. Cantalamessa: Ostern in der Alten Kirche. Verlag Peter Lang, Bern, Frankfurt a. M., Las Vegas, 1981.

R. Cantalamessa: Tertullien et la formule christologique de Chalcédoine [in:] “Studia Patristica” IX 94, 139-150, Berlin, 1966.

[Modificato da @Andrea M.@ 11/03/2007 10.59]

@Andrea M.@
00sabato 10 marzo 2007 17:25
Die Predigt im Wortlaut
Erste Predigt von P. Raniero Cantalamessa OFM Cap. zur Fastenzeit 2007 im Vatikan

„Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“

ROM, 9. März 2007 (ZENIT.org) - Wir veröffentlichen die erste Predigt zur Fastenzeit 2007, die P. Raniero Cantalamessa OFM Cap. am Freitagvormittag vor Papst Benedikt XVI. und dessen Mitarbeitern in der Römischen Kurie gehalten hat.

Der Prediger des Päpstlichen Hauses widmete die Meditation dem Wort Jesu: „Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8). Er erklärte, was unter „Reinheit des Herzens“ zu verstehen sei, und warnte eindringlich vor jeder Heuchelei.

„Jesus hat uns ein doppeltes und unübertreffliches Instrument hinterlassen, um mehrere Male am Tag unsere Absichten zu korrigieren: die ersten drei Bitten des Vaterunsers. ‚Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe.‘ Sie können als Gebete gesprochen werden, aber auch als Absichtserklärung: Alles, was ich tue, will ich tun, damit dein Name geheiligt werde, damit dein Reich komme und damit dein Wille geschehe.


1. Von der rituellen Reinheit zur Reinheit des Herzens

Wir fahren in dieser ersten Betrachtung zur Fastenzeit mit unserer Reflexion über die Seligpreisungen des Evangeliums fort, die wir im Advent begonnen haben, und wollen über die Seligpreisung derer nachdenken, die ein reines Herz haben. Jeder, der heute die Verkündigung hört: „Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“, denkt instinktiv an die Tugend der Reinheit, so als wäre diese Seligpreisung gleichsam das positive und verinnerlichte Äquivalent des sechsten Gebots: „Du sollst nicht ehebrechen.“ Diese im Lauf der Geschichte der christlichen Spiritualität sporadisch vorgebrachte Interpretation ist seit dem 19. Jahrhundert die vorherrschende geworden.

In Wirklichkeit meint „Reinheit des Herzens“ im Denken Christi keine besondere Tugend, sondern eine Qualität, die alle Tugenden begleiten muss, damit sie wirklich Tugenden sind und keine „glänzenden Laster“. Ihr direkter Gegensatz ist nicht die Unreinheit, sondern die Heuchelei. Ein bisschen Exegese und Geschichte werden uns helfen, das besser zu verstehen.

Was Jesus mit der „Reinheit des Herzens“ meint, geht klar aus dem Zusammenhang der Bergpredigt hervor. Nach dem Evangelium ist das, was über die Reinheit oder Unreinheit einer Handlung befindet – seien es das Almosen, das Fasten oder das Beten –, die Absicht: das heißt, ob die Handlung vollbracht wird, um von den Menschen gesehen zu werden, oder um Gott zu gefallen: „Wenn du Almosen gibst, lass es also nicht vor dir herposaunen, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten gelobt zu werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut. Dein Almosen soll verborgen bleiben und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten“ (Mt 6,2-6).

Die Heuchelei ist jene Sünde, die Gott in der ganzen Bibel am stärksten beklagt, und der Grund dafür ist klar: In ihr stuft der Mensch Gott herab; er setzt ihn an die zweite Stelle, indem er die Geschöpfe, das Publikum, an die erste Stelle setzt. „Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz“ (1 Sam 16,7). Den Schein mehr zu pflegen als das Herz bedeutet, dem Menschen mehr Bedeutung zuzumessen als Gott.

Die Heuchelei ist also im Wesentlichen ein Mangel an Glauben. Sie ist aber auch ein Mangel an Liebe zum Nächsten – in dem Sinn, dass sie dazu neigt, die Menschen auf Bewunderer zu reduzieren. Sie erkennt in ihnen keine eigene Würde, sondern sieht sie nur in Bezug auf das Bild von sich selbst.

Das Urteil Christi über die Heuchelei lässt keinen Einspruch zu: „Receperunt mercedem suam; sie haben schon ihren Lohn empfangen!“ Darüber hinaus ist dieser Lohn auch auf menschlicher Ebene illusorisch, da die Ehre – wir wissen es ja – dem entflieht, der ihr nachrennt; und sie rennt dem nach, der vor ihr flieht.

Auch die heftigen Ausfälle Jesu gegenüber den Pharisäern, die alle ganz auf die Gegenüberstellung von „Drinnen“ und „Draußen“ konzentriert sind, vom Inneren und Äußeren des Menschen, helfen uns, den Sinn der Seligpreisungen zu verstehen: „Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr seid wie die Gräber, die außen weiß angestrichen sind und schön aussehen; innen aber sind sie voll Knochen, Schmutz und Verwesung. So erscheint auch ihr von außen den Menschen gerecht, innen aber seid ihr voll Heuchelei und Ungehorsam gegen Gottes Gesetz“ (Mt 23,27-28).

Die Revolution, die Jesus in diesem Bereich gebracht hat, ist von einer unberechenbaren Tragweite. Vor ihm – sieht man einmal von einigen wenigen Andeutungen bei den Propheten und in den Psalmen ab (Ps 24,3: „Wer darf hinaufziehn zum Berg des Herrn, wer darf stehn an seiner heiligen Stätte? Der reine Hände hat und ein lauteres Herz“) – wurde die Reinheit in einem Sinn des Ritus und des Kultes verstanden. Reinheit bestand darin, sich von Dingen, Tieren, Menschen oder Orten fern zu halten, von denen man glaubte, dass sie die Kraft hätten, zu verunreinigen und von der Heiligkeit Gottes zu trennen. Vor allem das, was mit Geburt, Tod, Ernährung und Sexualität verbunden ist, fiel in diesen Bereich. In verschiedenen Formen und unter verschiedenen Voraussetzungen geschah dasselbe in anderen außerbiblischen Religionen.

Jesus räumt mit all diesen Tabus auf – vor allem mit den Gesten, die er tut: Er isst mit den Sündern, er berührt die Aussätzigen, er verkehrt mit Heiden: alles Dinge, die für extrem verunreinigend gehalten wurden; dann mit den von ihm erteilten Lehren. Die Feierlichkeit, mit der er seine Rede über den Reinen und den Unreinen einführt, lässt erkennen, dass er sich der Neuheit seiner Lehre bewusst war: „Dann rief er die Leute wieder zu sich und sagte: Hört mir alle zu und begreift, was ich sage: Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein… Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein“ (Mk 7,14-15; 21-23).

„Damit erklärte Jesus alle Speisen für rein“, merkt der Evangelist beinahe überrascht an (Mk 7,19). Gegen den Versuch einiger Judenchristen, die Unterscheidung zwischen rein und unrein in Bezug auf Nahrungsmittel und in anderen Bereichen des Lebens wiederherzustellen, wird die apostolische Kirche machtvoll bekräftigen: „Alles ist rein für den, der rein ist, omnia munda mundis“ (Tit 1,15; vgl. Röm 14,20).

Die im Sinn der Enthaltsamkeit und Keuschheit verstandene Reinheit fehlt in den Seligsprechungen nicht (unter die Dinge, die verunreinigen, zählt Jesus auch „Hurerei, Ehebruch und Schamlosigkeit“); sie nimmt allerdings einen begrenzten und sozusagen sekundären Platz ein. Es ist ein Bereich unter anderen, in welchem die entscheidende Stellung hervorgehoben wird, die das „Herz“ einnimmt, so als er sagt: „Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen“ (Mt 5,28).

In Wirklichkeit werden die Begriffe „rein“ und „Reinheit“ („katharos“, „katharotes“) im Neuen Testament nie benutzt, um das auszudrücken, was wir heute mit ihnen meinen, das heißt die Abwesenheit der Sünde des Fleisches. Dafür werden andere Begriffe gebraucht: Selbstbeherrschung („enkrateia“), Mäßigung („sophrosyne“), Keuschheit („hagneia“).

Aus dem Gesagten geht klar hervor, dass der, der ein reines Herz schlechthin hat, Jesus selbst ist. Von ihm müssen sogar seine Gegner sagen: „Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und dabei auf niemand Rücksicht nimmst; denn du siehst nicht auf die Person, sondern lehrst wirklich den Weg Gottes“ (Mk 12,14). Jesus konnte von sich sagen: „Ich bin nicht auf meine Ehre bedacht“ (Joh 8,50).

2. Ein Blick auf die Geschichte

In der Exegese der Kirchenväter können wir bald sehen, wie sich drei Richtungen abzeichnen, in denen die Seligpreisungen derer, die ein reines Herz haben, in der Geschichte der christlichen Spiritualität rezipiert und interpretiert werden: die moralische, die mystische und die asketische Richtung. Nach der moralischen Interpretation besteht diese Seligpreisung in der Rechtschaffenheit der Absicht, nach der mystischen in der Vision Gottes und nach der asketischen im Kampf gegen die Leidenschaften des Fleisches. Diese Interpretationen sehen wir bei Augustinus, Gregor von Nyssa und Johannes Chrysostomus exemplifiziert.

In Treue dem Zusammenhang des Evangeliums folgend, interpretiert Augustinus die Seligpreisung auf moralische Weise: als Ablehnung, „vor den Menschen die Gerechtigkeit zur Schau zu stellen“ (vgl. Mt 6,1), das heißt als Einfachheit und Aufrichtigkeit, die sich der Heuchelei widersetzt. „Nur wer das Lob der Menschen überwindet“ – so sagt Augustinus – „und im Leben darauf achtet, nur dem wohlgefällig zu sein, der nur das Gewissen erforscht, hat ein einfaches, das heißt ein reines Herz.“ (1)

Der Faktor, der über die Reinheit des Herzens entscheidet, ist hier die Absicht. „Alle unsere Handlungen sind ehrlich und Gott wohlgefällig, wenn sie mit aufrichtigem Herzen vollbracht werden, das heißt mit der Absicht, die nach oben gerichtet ist mit dem Ziel der Liebe… Ist sie rein und recht, so werden notwendig alle Handlungen, die wir in Bezug auf sie vollbringen, rein sein… Also darf man nicht die Handlung, die vollbracht wird, in Betracht nehmen, sondern die Absicht, mit der sie vollbracht wird“. (2) Dieses Interpretationsmodell, das sich auf die Absicht stützt, wird in der gesamten späteren spirituellen Tradition, besonders in der ignatianischen, wirksam bleiben. (3)

Die mystische Interpretation, die mit Gregor von Nyssa anfängt, interpretiert die Seligpreisung mit Blick auf die Kontemplation: Man muss sein Herz von jeglicher Verbundenheit mit der Welt und dem Bösen läutern; auf diese Weise wird das Herz des Menschen wieder zum reinen und klaren Abbild Gottes, das es am Anfang und in der Seele war, wie ein Spiegel – das Geschöpf wird „Gott schauen“ können. „Wenn du mit einem sorgfältigen und aufmerksamen Lebensstil deine Hässlichkeiten wegwaschen wirst, die sich in deinem Herzen abgelagert haben, so wird in dir die göttliche Schönheit erstrahlen… Wenn du dich selbst betrachtest, so wirst du in dir jenen sehen, der die Sehnsucht des Herzens ist, und du wirst selig sein.“ (4)

Hier liegt das Gewicht ganz auf der „Apodosis“, auf der von der Seligpreisung verheißenen Frucht. Ein reines Herz zu haben, ist das Mittel; das Ziel ist „Gott schauen“. Man bemerkt auf einer sprachlichen Ebene einen Einfluss der Spekulation Plotins, der beim heiligen Basilius noch offensichtlicher werden wird. (5)

Auch diese Interpretationslinie wird in der ganzen späteren Geschichte der christlichen Spiritualität, die vom heiligen Bernhard über den heiligen Bonaventura hin zu den rheinländischen Mystikern geht, Folgen haben. (6) In einigen monastischen Umfeldern kommt allerdings eine neue und interessante Idee hinzu: die Idee der Reinheit als innere Vereinigung, die zu erreichen ist, wenn man nur eines will, wenn dieses „etwas“ Gott ist. Der heilige Bernhard schreibt: „Selig, die ein reines Herzen haben, denn sie werden Gott schauen. Es ist, als sagte er: Läutere dein Herz, trenn dich von allem, sei nur Mönch; suche nur eines beim Herrn und folge dem (vgl. Ps 27,4); befreie dich von allem, und du wirst Gott schauen (vgl. Ps 46,11).“ (7)

Ziemlich isoliert hingegen ist bei den Kirchenvätern und den Autoren des Mittelalters die asketische Interpretation in Bezug auf die Keuschheit, die – wie ich sagte – ab dem 19. Jahrhundert vorherrschend werden wird. Johannes Chrysostomus liefert uns ein eindeutigeres Beispiel. (8)

Indem er sich in dieselbe Linie stellt, unterscheidet der Mystiker Ruusbroeck zwischen einer Keuschheit des Geistes, einer Keuschheit des Herzens und einer Keuschheit des Leibes. Er bezieht die evangelische Seligpreisung auf die Keuschheit des Herzens. Sie, so schreibt er, „hält die äußeren Sinne beieinander und stärkt sie, während sie im Inneren die brutalen Instinkte zügelt und zähmt… Sie verschließt das Herz gegenüber den irdischen Dingen und den trügerischen Reizen, während sie es für die Dinge des Himmels und der Wahrheit öffnet“. (9)

Mit unterschiedlichen Graden an Genauigkeit bleiben all diese orthodoxen Interpretationen innerhalb des neuen Horizonts der von Jesus gewirkten Revolution, der jede moralische Rede auf das Herz zurückführt. Paradoxerweise haben die evangelischen Seligpreisungen derer, die rein („katharoi“) sind im Herzen, gerade diejenigen verraten, die sich nach ihnen benennen: die Katharer – zusammen mit allen ihnen nahe stehenden Bewegungen, die ihnen in der Geschichte des Christentums vorangegangen und nachgefolgt sind. Sie fallen nämlich in die Kategorie derer, für die die Reinheit darin besteht, rituell und sozial getrennt zu sein von Menschen und Dingen, die in sich als unrein beurteilt werden, in einer mehr äußeren als inneren Reinheit. Sie sind eher die Erben des sektenhaften Radikalismus der Pharisäer und der Essener als des Evangeliums Christi.

3. Die laikale Heuchelei

Oft werden die soziale und die kulturelle Tragweite einiger der Seligpreisungen hervorgehoben. Nicht selten liest man auf den Spruchbändern, die die Demonstrationen der Pazifisten begleiten: „Selig die, die Frieden stiften“; und die Seligpreisung der Sanftmütigen, denen die Erde gehören wird, wird zu Recht zugunsten des Prinzips der Gewaltlosigkeit angerufen – um hier nicht von der Seligpreisung der Armen und der um der Gerechtigkeit willen Verfolgten zu sprechen. Nie jedoch spricht man von der sozialen Relevanz der Seligpreisung derer, die ein reines Herz haben; sie scheint ausschließlich dem persönlichen Bereich vorbehalten zu sein. Ich bin hingegen überzeugt, dass diese Seligpreisung heute eine kritische Funktion ausüben kann, die zu den notwenigsten unserer Gesellschaft gehört.

Wir haben gesehen, dass im Denken Christi die Reinheit des Herzens nicht in erster Linie der Unreinheit entgegengesetzt ist, sondern der Heuchelei; und die Heuchelei ist ein menschliches Laster, das am weitesten verbreitet ist und am wenigsten eingestanden wird. Es gibt individuelle und kollektive Heucheleien.

Der Mensch, so schreibt Pascal, hat zwei Leben: Das eine ist das wahre Leben, das andere ist das eingebildete Leben, das Leben, das man zu führen meint oder das man in den Augen der Leute führt. Wir arbeiten unaufhörlich dafür, unser eingebildetes Sein zu verschönern und zu erhalten, und vernachlässigen das wahre Sein. Wenn wir einige Tugenden oder Verdienste besitzen, so bemühen wir uns darum, sie auf die eine oder andere Weise bekannt werden zu lassen, um unser eingebildetes Sein mit diesen Tugenden oder Verdiensten zu schmücken. Dabei sind wir sogar bereit, auf uns zu verzichten, um ihm etwas hinzuzufügen; das geht so weit, dass wir manchmal sogar damit einverstanden sind, Feiglinge zu sein, nur um tüchtig zu erscheinen; ja, das Leben hinzugeben, nur damit die Leute davon sprechen. (10)

Die von Pascal ins Licht gerückte Tendenz hat in unserer aktuellen Kultur, die von Massenmedien, Film, Fernsehen und der Showwelt im Allgemeinen beherrscht wird, enorm zugenommen. Descartes sagte: „Cogito ergo sum – ich denke, also bin ich.“ Heute aber neigt man dazu, dieses Wort durch: „Ich trete auf, also bin ich“, zu ersetzen.

Ursprünglich war der Begriff der Heuchelei („hypokrisis“) der Theaterkunst vorbehalten. Er bedeutete einfach „rezitieren“, auf der Bühne darstellen. Der heilige Augustinus erinnert daran in seinem Kommentar zu den Seligpreisungen derer, die ein reines Herz haben. „Die Heuchler“ – schreibt er – „wirken als Versteller wie diejenigen, die in den Theateraufführungen die Persönlichkeit eines anderen darstellen“. (11)

Der Ursprung des Begriffs führt uns auf die richtige Spur, um das Wesen der Heuchelei zu entdecken. Es besteht darin, aus dem Leben ein Theater zu machen, in dem man für ein Publikum rezitiert. Heuchelei heißt, eine Maske aufsetzen – aufhören, eine Person zu sein und eine theatralische Persönlichkeit werden. Ich habe irgendwo diese Charakterisierung dieser beiden Dinge gelesen: „Die theatralische Persönlichkeit ist nichts anderes als die Korruption der Person. Die Person ist ein Antlitz, die theatralische Persönlichkeit eine Maske. Die Person ist radikale Nacktheit, die theatralische Persönlichkeit besteht nur aus Gewändern. Die Person liebt die Echtheit und die Wesentlichkeit, die theatralische Persönlichkeit lebt in der Verstellung und im Künstlichen. Die Person folgt den eigenen Überzeugungen, die theatralische Persönlichkeit folgt einem Drehbuch. Die Person ist demütig und leicht, die theatralische Persönlichkeit ist schwer und sperrig.“

Die theatralische Verstellung aber ist eine unschuldige Heuchelei, da sie trotz allem den Unterschied zwischen der Bühne und dem Leben aufrechterhält. Keiner, der bei der Vorführung des Agamemnon dabei ist (das ist das von Augustinus wiedergegebene Beispiel), denkt, dass der Schauspieler wirklich Agamemnon ist. Die neue und beunruhigende Tatsache von heute ist, dass man dazu neigt, auch diesen Unterschied zu nivellieren und so das Leben selbst in ein Schauspiel zu verwandeln. Das ist das, was die so genannten „Reality-Shows“ beanspruchen, die sich nunmehr in den Fernsehsendern der ganzen Welt breit gemacht haben.

Nach dem vor drei Tagen verstorbenen französischen Philosophen Jean Baudrillard ist es heute schwierig geworden, die wirklichen Ereignisse (11. September, Golfkrieg) von ihrer Darstellung in den Medien zu unterscheiden. Realität und Virtualität vermischen sich.

Der Aufruf zur Innerlichkeit, der unsere Seligpreisung und die gesamte Bergpredigt kennzeichnet, ist eine Einladung, uns nicht von dieser Tendenz mitreißen zu lassen, die dazu neigt, die Person zu entleeren, indem sie auf ein Bild, oder schlimmer noch: auf ein Götzenbild (ein Wort, das Baudrillard liebte) reduziert wird.

Kierkegaard rückte die Entfremdung ins Licht, die sich aus einem Leben in reiner Äußerlichkeit ergibt, immer und nur vor den Menschen und nie vor Gott und dem eigenen Ich. Ein Viehtreiber – so beobachtet er – kann ein Ich vor seinen Kühen sein, wenn er, da er immer mit ihnen lebt, nur sie hat, mit denen er sich messen kann. Ein König kann ein Ich vor seinen Untertanen sein, und er wird sich als ein wichtiges Ich fühlen. Das Kind erfährt sich als ein Ich in Bezug auf seine Eltern, ein Bürger vor dem Staat… Aber immer werde ich ein unvollkommenes „Ich“ sein, da das Maß fehlt. „Welch unendliche Wirklichkeit hingegen nimmt mein Ich an, wenn es sich bewusst wird, dass es vor Gott lebt, und so ein menschliches Ich wird, dessen Maß Gott ist… Welch unendlicher Akzent steht auf dem Ich in dem Augenblick, in dem es zum Maß Gott erhält!“

Es scheint dies ein Kommentar zu dem zu sein, was der heilige Franziskus von Assisi sagt: „Das, was der Mensch ist, der vor Gott ist, das ist und nichts weiter.“ (12)

4. Die religiöse Heuchelei

Das Schlimmste, was man tun kann, wenn man über die Heuchelei spricht, besteht darin, sich dieses Themas nur zu bedienen, um die anderen – die Gesellschaft, die Kultur, die Welt – zu verurteilen. Gerade für solche Menschen gebraucht Jesus den Titel „Heuchler“: „Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen“ (Mt 7,5).

Als Gläubige müssen wir uns an die Aussage eines jüdischen Rabbiners aus der Zeit Christi erinnern, nach dem sich 90 Prozent der Heuchelei der Welt damals in Jerusalem befanden. (13) Schon der heilige Märtyrer Ignatius von Antiochien verspürte das Bedürfnis, seine Brüder im Glauben zu ermahnen. Er schrieb: „Es ist besser, Christen zu sein, ohne es zu sagen, als es zu sagen, ohne es zu sein“ (14).

Die Heuchelei stellt vor allem den frommen und religiösen Menschen nach, und der Grund dafür ist einfach: Dort, wo die Achtung vor den geistigen Werten, der Frömmigkeit und der Tugenden (oder der Orthodoxie!) am stärksten ist, da ist auch die Versuchung stärker, sie zu zeigen, um nicht den Anschein zu erwecken, sie würden fehlen. Manchmal ist es das Amt, das wir innehaben, das uns dazu veranlasst, so zu handeln. „Und weil nun die verschiedenen Verhältnisse in der menschlichen Gesellschaft“ – so schreibt der heilige Augustinus in den „Bekenntnissen“ – „es erfordern, dass wir von manchen Menschen geliebt, von anderen gefürchtet werden, da setzt uns sofort der Feind unserer wahren Glückseligkeit zu und streut überall in seinen Schlingen den Köder des Beifalls: ‚Recht so, recht so‘ aus, damit wir, diese Lockspeise gierig aufnehmend, in unserer Unvorsichtigkeit gefangen werden, unsere Freude an deiner Wahrheit verlieren und sie im Truge der Menschen finden. So wollen wir dann nicht deinetwegen, sondern an deiner Statt geliebt und gefürchtet werden“ (15).

Die schädlichste Heuchelei würde darin bestehen, die eigene Heuchelei zu verbergen. Ich erinnere mich nicht, in einem Spiegel zur Gewissenserforschung jemals die Frage entdeckt zu haben: „Bin ich ein Heuchler gewesen? Habe ich mich mehr um den Blick gekümmert, den die Menschen auf mich werfen, als um den Blick Gottes?“ An einem bestimmten Punkt meines Lebens musste ich für mich persönlich diese Fragen in meine Gewissenserforschung mit aufnehmen, und selten konnte ich schadlos auf die nächste Frage übergehen…

Eines Tages wurde bei der Messe aus dem Evangelium das Gleichnis von den Talenten vorgelesen. Ich hörte es und verstand etwas auf Anhieb: Neben der Tatsache, die Talente Ertrag bringen zu lassen und dies nicht zu tun, gibt es eine dritte Möglichkeit: die Möglichkeit, sie zwar Ertrag bringen zu lassen, aber nur für sich selbst, nicht für den Herrn; für die eigene Ehre und für den eigenen Nutzen – und dies ist eine vielleicht schwerere Sünde als die, sie zu vergraben. An jenem Tag, im Moment der Kommunion, musste ich so handeln wie gewisse Räuber, die in flagranti ertappt werden, voller Scham die Taschen leeren und dem Besitzer das vor die Füße werfen, was sie ihm abgenommen haben.

Jesus hat uns ein doppeltes und unübertreffliches Instrument hinterlassen, um mehrere Male am Tag unsere Absichten zu korrigieren: die ersten drei Bitten des Vaterunsers. „Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe.“ Sie können als Gebete gesprochen werden, aber auch als Absichtserklärung: Alles, was ich tue, will ich tun, damit dein Name geheiligt werde, damit dein Reich komme und damit dein Wille geschehe.

Es wäre ein wertvoller Beitrag für die Gesellschaft und die christliche Gemeinschaft, wenn die Seligpreisung derer, die ein reines Herz haben, uns helfen könnten, in uns das Heimweh nach einer sauberen, wahren, aufrichtigen Welt ohne religiöse oder laikale Heuchelei wach zu halten; einer Welt, in der die Taten den Worten, die Worte den Gedanken und die Gedanken des Menschen den Gedanken Gottes entsprächen. Das wird sich zur Gänze nur im himmlischen Jerusalem zutragen, der Stadt, die ganz aus Kristall ist, aber wir müssen jetzt wenigstens danach streben.

Eine Märchenschriftstellerin hat ein Märchen mit dem Titel „Das Land aus Glas“ geschrieben. Es erzählt von einem Mädchen, das durch einen Zauber in ein Land kommt, das ganz aus Glas ist: gläserne Häuser, gläserne Vögel, gläserne Bäume, Personen, die sich wie anmutige Glasstatuen bewegen. Und dennoch ist nie etwas zu Bruch gegangen, weil alle gelernt haben, sich mit Zartgefühl zu bewegen, um sich gegenseitig nicht wehzutun. Wenn sich diese Personen begegnen, so antworten sie auf die Fragen, noch ehe sie gestellt worden sind – weil auch die Gedanken offen und transparent geworden sind. Keiner versucht mehr zu lügen, da sie wissen, dass alle lesen können, was man im Sinn hat. (16)

Allein beim Gedanken, was wohl passieren würde, wenn es schon jetzt unter uns so sein würde, überläuft es einen kalt. Aber es tut gut, wenigstens nach diesem Ideal zu streben. Das ist der Weg, der zur Seligpreisung führt, die wir versucht haben zu kommentieren: „Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen.“


(1) Augustinus, De sermone Domini in monte, II, 1,1 (CC 35, 92)
(2) Ebd. II, 13, 45-46.
(3) Jean-François de Reims, La vraie perfection de cette vie, 2 parte, Paris 1651, Instr. 4, p.160 s).
(4) Gregor von Nyssa, De beatitudinibus, 6 (PG 44, 1272).
(5) Basilius, Über den Heiligen Geist, IX,23; XXII,53 (PG 32, 109.168).
(6) Vgl. Michel Dupuy, Pureté, purification, in DSpir. 12, coll,2637-2645.
(7) Bernhard von Clairveaux, Sententiae, III, 2 (S. Bernardi Opera, hg. J. Leclerq – H. M. Rochais).
(8) Johannes Chrysostomus, Homiliae in Mattheum, 15,4.
(9) Johannes Ruysbroeck, Lo splendore delle nozze spirituali, Roma, Città Nuova 1992, S. 72 f. (Jan van Ruusbroec, Opera omnia, hrsg. v. Ruusbroecgenootschap (Antwerpen), 8 Bde von 10 veröffentlicht. (Corpus Christianorum, continuatio mediaevalis 104), Turnhout 1988; [Mittelniederlänische Urtext, Englische und Lateinische Übersetzung (L. Surius)]; Ruusbroec hertaald, hrsg. von Lode Moereels, 10 Bde., Tielt 1975-1982; J. A. Bizet, Ruysbroeck. Oeuvres choisies, Paris 1947.
(10) Vgl. B. Pascal, Penseés, 147 Br.
(11) Augustinus, De sermone Domini in monte, 2,5 (CC 35, S. 95).
(12) Franz von Assisi, Ammonizioni, 19 (Fonti Francescane, Nr. 169).
(13) Vgl.. Strack-Billerbeck, I, 718.
(14) Vgl. Ignatius von Antiochien, Epheser 15,1 und Magnesier, 4
(15) Vgl. Augustinus, Confessiones, X, 36, 59.
(16) Lauretta, Il bosco dei lillà, Ancora, Milano, 1994, S. 90 ff.

ZENIT-Übersetzung des vom Autor zur Verfügung gestellten italienischen Originals

[Modificato da @Andrea M.@ 10/03/2007 17.26]

ingaH
00sabato 10 marzo 2007 21:55
Predikt zum 11.3.2007
P. Raniero Cantalamessa warnt vor der Heuchelei

Erste Predigt in der Fastenzeit vor Papst und Kurie

ROM, 9. März 2007 (ZENIT.org).- Die Heuchelei ist jene Sünde, die Gott am vehementesten beklagt und die man sich am wenigsten eingesteht. Deshalb warnt der Prediger des Papstes vor ihren Gefahren und zeigt Wege auf, um sie zu besiegen – was der ganzen Gesellschaft zugute kommt.

In Gegenwart Benedikts XVI. und seiner Kurienmitarbeiter trug P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., Prediger des Päpstlichen Hauses, am Freitagvormittag in der Kapelle „Redemptoris Mater“ des Apostolischen Palasts seine erste von vier Predigten zur Fastenzeit vor, in denen er sich mit den Seligpreisungen befasst.

Am heutigen Tag standen die Worte Jesu: „Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8), im Mittelpunkt seiner Ausführungen. Der Kapuzinerpater erläuterte, dass mit der „Reinheit des Herzens“ keine besondere Tugend gemeint sei, sondern vielmehr „eine Qualität, die alle Tugenden begleiten muss, damit sie wirklich Tugenden sind und keine ‚glänzenden Laster‘. Ihr direkter Gegensatz ist nicht die Unreinheit, sondern die Heuchelei.“

P. Cantalamessa zeigte auf, dass nur Jesus ein reines Herz par excellence habe, und setzte sich in der Folge ausführlich mit dem Thema der Heuchelei auseinander, durch die der Mensch Gott herabsetze, „indem er die Geschöpfe, das Publikum, an die erste Stelle setzt“. Der Heuchler pflege den Schein mehr als sein Herz, was bedeute, „dem Menschen mehr Bedeutung zuzumessen als Gott“.

Heuchelei – „eine Maske aufsetzen“ beziehungsweise „aufhören, eine Person zu sein und eine theatralische Persönlichkeit werden“ – ist nach Worten des Predigers ein weit verbreitetes Phänomen unserer Tage. Manchmal würden die Unterschiede zwischen Bühne und Leben nivelliert und das Leben in ein Schauspiel verwandelt; darüber hinaus sei es mitunter schwierig, „die wirklichen Ereignisse von ihrer Darstellung in den Medien zu unterscheiden. Realität und Virtualität vermischen sich.“

Angesichts dieser Entwicklungen rief der Ordensmann zu einer Besinnung auf das eigentlich Wichtige auf und sagte: „Der Aufruf zur Innerlichkeit, der unsere Seligpreisung und die gesamte Bergpredigt kennzeichnet, ist eine Einladung, uns nicht von dieser Tendenz mitreißen zu lassen, die dazu neigt, die Person zu entleeren, indem sie auf ein Bild, oder schlimmer noch: auf ein Götzenbild reduziert wird.“

Fromme Menschen sind nach Worten von P. Cantalamessa besonders anfällig für Heuchelei. Denn „dort, wo die Achtung vor den geistigen Werten, der Frömmigkeit und der Tugenden (oder der Orthodoxie!) am stärksten ist, da ist auch die Versuchung stärker, sie zu zeigen, um nicht den Anschein zu erwecken, sie würden fehlen.“

Jesus habe den Menschen mit den ersten drei Bitten des Vaterunsers aber ein „doppeltes und unübertreffliches Instrument“ hinterlassen, um die Heuchelei zu besiegen, indem man mehrmals am Tag die Absicht läuterte: „Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe.“

Der Prediger des Papstes betonte schließlich, dass ein wertvoller Beitrag für die Gesellschaft und die christliche Gemeinschaft geleistet werde, „wenn die Seligpreisung derer, die ein reines Herz haben, uns helfen könnten, in uns das Heimweh nach einer sauberen, wahren, aufrichtigen Welt ohne religiöse oder laikale Heuchelei wach zu halten; einer Welt, in der die Taten den Worten, die Worte den Gedanken und die Gedanken des Menschen

Wuelle; zenit
ingaH
00domenica 18 marzo 2007 12:23
P. Cantalamessa: Auf die eigenen Gedanken achten


ROM, 16. März 2007 (ZENIT.org).- Der Prediger des Päpstlichen Hauses, P. Raniero Cantalamessa OFM Cap, hat dazu geraten, auf die eigenen Gedanken zu achten und diese gegebenenfalls zu läutern.

Im Mittelpunkt der zweiten Predigt in der Fastenzeit 2007, die der Kapuzinerpater am heutigen Freitagvormittag in der Kapelle „Redemptoris Mater“ des Apostolischen Palasts vor Papst Benedikt XVI. und dessen Mitarbeitern in der Römischen Kurie hielt, standen die Worte Jesu: „Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben“ (Mt 5,5).

P. Cantalamessa führte aus, was unter diesem Wort gemeint sei und hob hervor, dass Jesus nicht nur das größte Vorbild für Sanftmut und heldenhafte Geduld sei, sondern dass er diese Eigenschaften „zum Zeichen wahrer Größe“ gemacht habe.

Die Behauptung, das Evangelium würde mit solchen Lehren den Wunsch, große Taten zu vollbringen und die erste Stelle einzunehmen, ersticken, sei unhaltbar, betonte der Prediger mit einem Verweis auf das Wort Jesu: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein“ (Mk 9,35). Und er fuhr fort: „Es ist also erlaubt, ja mehr noch, es wird ausdrücklich dazu geraten, der erste sein zu wollen. Nur hat sich der Weg geändert, um dorthin zu gelangen: nicht sich über die anderen zu erheben und sie dabei vielleicht zu erdrücken, wenn sie ein Hindernis sind, sondern sich herabzubeugen, um die anderen zusammen mit sich zu erheben – das ist der Weg.“

Vor allem gehe es aber – wie bei allen Seligpreisungen – um das Innere des Menschen, um sein Herz. Deswegen sage Jesus auch: “Lernt von mir, der ich sanftmütig und im Herzen demütig bin.“ Hier entscheidet sich nach den Worten von P. Cantalamessa, ob man wahrhaft sanftmütig sei. „Aus dem Herzen, so sagt er, kommen Mord, Bosheit, Verleumdung (vgl. Mk 7,21-22), so wie aus dem inneren eines kochenden Vulkans Lava, Asche und glühende Lavabrocken ausgespieen werden. Die größten Gewaltausbrüche wie Kriege und Konflikte rühren, wie der heilige Jakobus erklärt, ‚vom Kampf der Leidenschaften in eurem Innern‘ her (vgl. Jak 4,1-2). So wie es im Herzen einen Ehebruch gibt, so gibt es im Herzen auch einen Mord: ‚Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Mörder‘, schreibt Johannes (1 Joh 3,15).“

Aber die Gewalt erstrecke sich auch auf die Gedanken. Deshalb erinnerte der Ordenspriester seine Zuhörer an einen Rat der Wüstenväter: „Unser Geist, so sagten sie, besitzt die Fähigkeit, den Gang eines Gedanken zu durchlaufen und von Anfang an zu erkennen, worauf er hinaus will: auf die Entschuldigung des Bruders oder auf seine Verurteilung, auf den eigenen Ruhm oder auf den Ruhm Gottes.“ In diesem Sinn sollte man sich darum bemühen, jene Gedanken, die der Liebe nicht entsprächen, rechtzeitig abzuwehren. „Die einfachste Weise, das zu tun, besteht in einem kurzen Gebet, oder darin, an die Person, die zu verurteilen wir versucht sind, ein Segenswort zu richten.“

Abschließend wies P. Cantalamessa darauf hin, dass Christus nicht nur ein Vorbild sei, sondern zugleich eine Quelle, aus der man schöpfen dürfe: „Angesichts der Seligpreisungen sind wir nicht nur zur Nachahmung aufgerufen, sondern auch dazu, sie uns zu Eigen zu machen. Im Glauben können wir aus der Sanftmut Christi schöpfen, wie aus seiner Reinheit des Herzens und aus einer jeden anderen seiner Tugenden.“

Die Sanftmut sei deshalb „wie ein Gewand, das Christus uns erworben hat und das wir im Glauben anziehen dürfen – nicht, um von ihrer Umsetzung im täglichen Leben dispensiert zu sein, sondern um dazu ermuntert zu werden.“
@Andrea M.@
00domenica 18 marzo 2007 13:24
Die Predigt im Wortlaut
Zweite Predigt von P. Raniero Cantalamessa OFM Cap. zur Fastenzeit 2007 im Vatikan

„Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben“

ROM, 16. März 2007 (ZENIT.org).- Wir veröffentlichen die zweite Predigt zur Fastenzeit 2007, die P. Raniero Cantalamessa OFM Cap. am Freitagvormittag vor Papst Benedikt XVI. und dessen Mitarbeitern in der Römischen Kurie gehalten hat.

Der Prediger des Päpstlichen Hauses widmete die Meditation dem Wort Jesu: „Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben“ (Mt 5,5).

Der Kapuzinerpater hob hervor, dass der größte Beweis für die Sanftmut Christi in seiner Passion zu finden sei. „Jesus aber hat bedeutend mehr getan, als ein Beispiel an Sanftmut und heldenhafter Geduld zu geben; er hat Sanftmut und Gewaltlosigkeit zum Zeichen wahrer Größe gemacht.“


1. Wer sind die Sanftmütigen?

Die Seligpreisung, über die wir heute nachdenken wollen, bietet sich dafür an, eine wichtige Beobachtung zu machen. Sie lautet: „Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben“ (Mt 5,5). An einer anderen Stelle desselben Evangeliums nach Matthäus ruft Jesus aus: „Lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig“ (Mt 11,29). Daraus leiten wir ab, dass die Seligpreisungen nicht nur ein schönes ethisches Programm sind, das der Meister sozusagen auf dem Schreibtisch für seine Nachfolger entworfen hat, sondern dass sie ein Selbstbildnis Jesu darstellen! Er ist der wahrhaft Arme und der, der ein reines Herz hat; er ist der Verfolgte um der Gerechtigkeit willen.

Darin besteht die Begrenztheit eines Gandhi in seiner Weise, sich mit der Bergpredigt auseinanderzusetzen, die er so sehr bewunderte. Nach ihm könnte man auch gänzlich von der historischen Person Christi absehen. „Es wäre mir ganz gleichgültig“ – so sagt er einmal –, „wenn jemand beweisen würde, dass der Mensch Jesus in Wirklichkeit nie gelebt hat und dass das, was in den Evangelien zu lesen ist, nichts anderes als die Frucht der Vorstellungskraft des Autors ist. Denn die Bergpredigt würde in meinen Augen dennoch immer wahr bleiben“. (1)

Es ist im Gegenteil gerade die Person und das Leben Christi, die aus den Seligpreisungen und der ganzen Bergpredigt etwas mehr machen als eine wunderbare ethische Utopie; sie machen aus ihnen eine geschichtliche Wirklichkeit, aus der der Kraft schöpfen kann für die mystische Einheit, die ihn mit der Person des Heilands verbindet. Die Seligpreisungen gehören nicht nur zur Ordnung der Pflichten, sondern auch zur Ordnung der Gnade.

Um zu erkennen, wer die von Jesus selig gepriesenen Sanftmütigen sind, ist es nützlich, kurz die verschiedenen Begriffe durchzugehen, mit denen das Wort „sanftmütig“ („praesis“) in den modernen Übersetzungen wiedergegeben wird.

Im Italienischen gibt es zwei Worte: sanftmütig („mite“) und zahm („mansueto“). Letzteres Wort wird auch in den spanischen Übersetzungen verwendet: „los mansos“, die Zahmen. Auf Französisch wird das Wort mit „doux“ übersetzt, wörtlich „süß“, also diejenigen, die die Tugend der Süße besitzen (Im Französischen gibt es keinen spezifischen Ausdruck für „Sanftmut“; im „Dictionnaire de spiritualità“ wird diese Tugend unter dem Begriff „douceur“ behandelt). Im Deutschen wechseln sich verschiedene Übersetzungen ab. Luther übersetzte den Begriff mit „die Sanftmütigen“; in der ökumenischen Übersetzung der Bibel, der Einheitsübersetzung, sind die Sanftmütigen diejenigen, „die keine Gewalt anwenden“; einige Autoren betonen die objektive und soziologische Dimension und übersetzen „praeis“ mit „die Machtlosen“. Das Englische gibt im Allgemeinen „praeis“ mit „the gentle“ wieder und führt damit in die Seligpreisung die Nuance der Freundlichkeit und Höflichkeit ein.

Eine jede dieser Übersetzungen hebt eine wahre, aber partielle Komponente der Seligpreisung hervor. Sie müssen aber zusammengehalten und dürfen nicht voneinander isoliert gesehen werden, um eine Idee vom ursprünglichen Reichtum des evangelischen Begriffs zu haben. Zwei in der Bibel und in der christlichen Parenese ständig vorkommende Assoziationen helfen, den „vollen Sinn“ von Sanftmut zu erfassen: Die eine besteht darin, dass Sanftmut und Demut nebeneinander stehen, die andere darin, dass Sanftmut und Geduld zusammengehören; die eine hebt die innere Bereitschaft hervor, aus der die Sanftmut entspringt, die andere die Haltungen gegenüber den Nächsten, zu denen sie Anlass gibt: Umgänglichkeit, Süße, Freundlichkeit. Es sind dies dieselben Züge, die der Apostel hervorhebt, wenn er von der Liebe spricht: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, lässt sich nicht zum Zorn reizen…“ (1 Kor 13,4-5).

2. Jesus, der Sanftmütige

Wenn die Seligpreisungen das Selbstbildnis Christi sind, so muss in einem Kommentar, der sie zum Thema hat, zuallererst darauf eingegangen werden, wie er sie gelebt hat. Die Evangelien sind vom Anfang bis zum Ende der Beweis für die Sanftmut Christi, für die Sanftmut in ihrem zweifachen Aspekt der Demut und der Geduld. Er selbst – wir haben daran erinnert – stellt sich als Vorbild der Sanftmut dar. Auf ihn wendet Matthäus die Worte des Dieners Gottes Jesajas an: „Er wird nicht zanken und nicht schreien, und man wird seine Stimme nicht auf den Straßen hören. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen“ (Mt 12, 19-20). Sein Einzug in Jerusalem auf einem Esel ist als Beispiel eines „sanftmütigen“ Königs zu sehen, dem jede Vorstellung von Gewalt und Krieg fremd ist (vgl. Mt 21,4).

Den größten Beweis für die Sanftmut Christi finden wir in seiner Passion – keine Spur von Zorn, keine Drohung: „Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte aber nicht“ (1 Petr 2,23). Dieser Charakterzug der Person Christi hatte sich in die Erinnerung seiner Jünger derart eingeprägt, dass der heilige Paulus den Korinthern, als er sie um etwas Liebes und Heiliges willen beschwört, Folgendes schreibt: „Ich ermahne euch angesichts der Freundlichkeit („prautes“) und Güte („epieikeia“) Christi“ (2 Kor 10,1).

Jesus aber hat bedeutend mehr getan, als ein Beispiel an Sanftmut und heldenhafter Geduld zu geben; er hat Sanftmut und Gewaltlosigkeit zum Zeichen wahrer Größe gemacht. Diese wird nicht mehr darin bestehen, sich einsam über die anderen, über die Masse zu erheben, sondern darin, sich herabzubeugen, um zu dienen und die anderen zu erheben. Auf dem Kreuz, so sagt Augustinus, offenbare Jesus, dass der wahre Sieg nicht darin bestehe, Opfer hervorzubringen, sondern sich selbst zum Opfer zu machen: „Victor quia victima“. (2)

Nietzsche widersetzte sich, wie wir wissen, dieser Sicht und bezeichnete sie als „Sklavenmoral“, die durch das natürliche „Ressentiment“ der Schwachen gegenüber den Starken suggeriert werde. Demut und Sanftmut zu predigen, sich klein zu machen, die andere Wange hinzuhalten – damit habe das Christentum laut Nietzsche eine Art Krebsgeschwür in die Menschheit eingeführt, das ihren Schwung ausgelöscht und das Leben gedemütigt habe… Die Schwester des Philosophen fasste in der Einleitung zu „Also sprach Zarathustra“ das Denken ihres Bruders mit diesen Worten zusammen: „Er nimmt an, daß das aus dem Ressentiment der Schlechtweggekommenen und Schwachen entstandene Christenthum Alles, was schön, stark, stolz und mächtig war, also die aus der Kraft stammenden Eigenschaften, in Acht und Bann gethan hat, und daß dadurch alles Lebensfördende, Lebenerhöhende sehr herabgemindert worden ist. Jetzt aber soll eine neue Tafel der Werthe über der Menschheit aufgehängt werden, nämlich der starke, mächtige, prachtvolle, lebenüberströmende Mensch bis zu seiner höchsten Spitze, dem Übermenschen, der uns nun mit hinreißender Leidenschaft als Ziel unseres Lebens, unseres Willens und unserer Hoffnung vorgestellt wird“. (3)

Seit einiger Zeit kann man sehen, wie versucht wird, Nietzsche von jeder Anklage freizusprechen, ihn zu zähmen und sogar zu christianisieren. Man sagt, dass er im Grunde nicht gegen Christus sei, sondern gegen die Christen, die in bestimmten Epochen einen Verzicht gepredigt hätten, der zum Selbstzweck geworden sei, und die darüber das Leben verachtet und gegen den Leib gewütet hätten… Alle hätten das wahre Denken des Philosophen verfälscht, angefangen mit Hitler… In Wirklichkeit sei er ein Prophet der neuen Zeiten gewesen, der Vorläufer der postmodernen Ära.

Man kann sagen, dass nur eine Stimme übrig geblieben ist, die sich dieser Tendenz widersetzt: jene des französischen Denkers René Girard. All diese Versuche, so sagt er, tun vor allem Nietzsche unrecht. Mit einem für seine Zeit wahrhaftig einzigartigen Scharfsinn hat er den wahren Kern des Problems erfasst, die nicht reduzierbare Alternative zwischen Heidentum und Christentum.

Das Heidentum preist das Opfer des Schwachen zugunsten der Starken und des Fortschritts des Lebens; das Christentum preist das Opfer des Starken zugunsten des Schwachen. Es ist schwierig, zwischen dem Projekt Nietzsches und dem Programm Hitlers zur Eliminierung ganzer Gruppen von Menschen im Namen des Fortschritts der Zivilisation und der Reinheit der Rasse keine Verbindung zu erkennen.

Nicht nur das Christentum ist also die Zielscheibe des Philosophen, sondern auch Christus. „Dionysos gegen den Gekreuzigten: Das ist die Antithese“, ruft er in einem seiner posthumen Fragmente aus. (4)

Girard zeigt, dass das, was den großen Ruhm der modernen Gesellschaft bildet – sich um die Opfer zu sorgen, sich auf die Seite der Schwachen und Unterdrückten zu schlagen, das bedrohte Leben zu verteidigen –, in Wirklichkeit ein direktes Produkt der Revolution des Evangeliums ist, das jedoch jetzt, aufgrund eines paradoxen Spiels sich tarnender Rivalität, von anderen Bewegungen als eigene Errungenschaft reklamiert und sogar als Gegensatz zum Christentum dargestellt werde. (5)

Das letzte Mal sprach ich davon, dass die Seligpreisungen auch eine gesellschaftliche Bedeutung haben. Die Seligpreisung der Sanftmütigen ist dafür vielleicht das klarste Beispiel; das aber, was man von ihr sagt, gilt für alle Seligpreisungen: Sie sind das Manifest der neuen Größe, der Weg Christi zur Selbstverwirklichung, zum Glück.

Es ist nicht wahr, dass das Evangelium die Sehnsucht erstickt, große Taten zu vollbringen und die erste Stelle einzunehmen. Jesus sagt: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein“ (Mk 9,35). Es ist also erlaubt, ja mehr noch, es wird ausdrücklich dazu geraten, der erste sein zu wollen. Nur hat sich der Weg geändert, um dorthin zu gelangen: nicht sich über die anderen zu erheben und sie dabei vielleicht zu erdrücken, wenn sie ein Hindernis sind, sondern sich herabzubeugen, um die anderen zusammen mit sich zu erheben – das ist der Weg.

3. Sanftmut und Toleranz

Die Seligpreisung der Sanftmütigen hat in den Debatten über Religion und Gewalt, die in der Folge von Ereignissen wie dem 11. September entbrannt sind, eine außerordentliche Bedeutung erlangt. Sie erinnert vor allem uns Christen daran, dass das Evangelium dem Zweifel keinen Raum lässt: In ihm gibt es keine Ermahnungen zur Gewaltlosigkeit, die mit gegenteiligen Ermahnungen vermischt wären. Es mag sein, dass die Christen in gewissen Epochen der Vergangenheit diesbezüglich ausgerastet sind; die Quelle aber ist klar, und zu ihr kann die Kirche zurückkehren, um sich in jeder Epoche neu zu inspirieren, in der Gewissheit, dass in ihr nichts anderes zu finden ist als moralische Vollkommenheit.

Das Evangelium sagt: „Wer nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16,16). Aber er wird im Himmel verdammt werden, nicht auf Erden – von Gott, nicht von den Menschen. „Wenn man euch in der einen Stadt verfolgt“, so sagt Jesus, „so flieht in eine andere“ (Mt 10,23). Er sagt nicht: „Brennt sie nieder.“ Einmal sagten zwei seiner Jünger, Jakobus und Johannes, die in einem bestimmten Dorf der Samariter nicht aufgenommen worden waren, zu Jesus: „Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet?“ Jesus, so steht geschrieben, wandte sich „um und wies sie zurecht“. Viele Handschriften überliefern auch den Ton der Zurechtweisung: „Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Der Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten“ (vgl. Lk 9,53-55).

Das berühmte „compelle intrare“ – „zwingt sie dazu, einzutreten“ –, mit dem der heilige Augustinus, wenn auch schweren Herzens (6), seine Billigung der kaiserlichen Gesetze gegen die Donatisten rechtfertigt (7) und das später dazu dienen sollte, die Ausübung von Zwang gegenüber den Häretikern zu rechtfertigen, ist einer offensichtlichen Fehlinterpretation des Evangeliums zu verdanken, Frucht einer mechanisch wortwörtlichen Lesart der Bibel.

Der Satz wird von Jesus einem Mann in den Mund gelegt, der ein großes Gastmahl vorbereitet hatte und – angesichts der Weigerung der Geladenen zu kommen – den Knechten sagt, auf die Straße und vor die Tor der Stadt zu gehen, um „die Armen und die Krüppel, die Blinden und die Lahmen dazu zu zwingen einzutreten“ (vgl. Lk 14, 15-24). Es ist klar, dass „zwingen“ im diesem Zusammenhang nichts anderes bedeutet als liebeswürdig darauf zu bestehen. Die Armen und die Krüppel wie auch alle übrigen Unglücklichen könnten sich in Verlegenheit fühlen, sich in so schlechtem Aufzug im Palast präsentieren zu müssen: Besiegt ihren Widerstand, empfiehlt der Herr. Sagt ihnen, dass sie ohne Angst eintreten können. Wie oft haben wir selbst unter ähnlichen Umständen gesagt: „Sie haben mich gezwungen zu akzeptieren“, obwohl wir sehr wohl wussten, dass das Drängen in diesen Fällen ein Zeichen von Wohlwollen war, nicht von Gewalt.

In einem Buch über Jesus, das in der letzten Zeit in Italien so viel Aufsehen erregt hat, wird Jesus folgender Satz zugeschrieben: „Doch meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde – bringt sie her und macht sie vor meinen Augen nieder!“ (Lk 19,27). Daraus wird dann abgeleitet, dass „sich die Verfechter des ‚Heiligen Kriegs‘ auf derartige Sätze beziehen“. (8) Zunächst ist zu präzisieren, dass Lukas derartige Worte nicht Jesus zuschreibt, sondern dem König des Gleichnisses. Und es ist bekannt, dass man die Details der gleichnishaften Erzählung nicht einfach vom Gleichnis in die Wirklichkeit übertragen darf; sie müssen auf jeden Fall von der materiellen Ebene auf die geistliche Ebene übertragen werden. Der metaphorische Sinn jener Worte besteht darin, dass die Annahme oder Ablehnung Jesu nicht ohne Folgen ist. Es handelt sich dabei um eine Frage von Leben und Tod, aber es geht um das geistliche, nicht um das physische Leben; um den geistlichen und nicht um den physischen Tod. Das alles hat überhaupt nichts mit dem Heiligen Krieg zu tun!

4. Voller Sanftmut und Achtung

Lassen wir aber nun diese Überlegungen apologetischer Natur beiseite und versuchen wir zu sehen, wie die Seligpreisung der Sanftmütigen zu einem Licht für unser christliches Leben werden kann. Es gibt eine pastorale Anwendung der Seligpreisung der Sanftmütigen, die schon im ersten Brief des Petrus ihren Anfang nimmt. Sie betrifft den Dialog mit der Außenwelt: „Haltet in eurem Herzen Christus, den Herrn, heilig! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt; aber antwortet bescheiden („prautes“) und ehrfürchtig“ (1 Petr 3,15-16).

Seit dem Altertum gab es zwei Arten der Apologetik: die eine hat ihr Vorbild in Tertullian, die andere in Justinus. Die eine zielt darauf ab zu siegen, die andere zu überzeugen. Justinus schreibt einen „Dialog mit dem Juden Tryphon“, Tertullian (oder einer seiner Schüler) verfasst einen Traktat „Gegen die Judäer“ – „Adversus Iudeos“. Beide Stile fanden in der christlichen Literatur Nachfolger (Unser Giovanni Papini stand sicherlich dem Tertullian näher als dem Justinus), aber sicher ist heute der erste vorzuziehen. Die Enzyklika Deus caritas est des jetzigen Papstes ist ein leuchtendes Beispiel für diese respektvolle und konstruktive Vorstellung jener christlichen Werte, die voller „Sanftmut und Achtung“ dem Rede und Antwort stehen, der nach der christlichen Hoffnung fragt.

Hinsichtlich der Außenwelt empfahl der heilige Märtyrer Ignatius von Antiochien den Christen seiner Zeit diese immer aktuelle Haltung: „Gegen die Ausbrüche ihres Zornes seid sanftmütig, gegen ihre prahlerischen Reden bescheiden“ (9).

Die mit der Seligpreisung der Sanftmütigen verbundene Verheißung – „Sie werden das Land erben“ – verwirklicht sich bis zum endgültigen verheißenen Land, das das Ewige Leben ist, auf verschiedenen Ebenen. mit Sicherheit ist aber eine dieser Ebenen die menschliche: Die Erde, das sind die Herzen der Menschen. Die Sanftmütigen erringen das Vertrauen, sie ziehen die Seelen an. Der Heilige schlechthin der Sanftmütigkeit und des Zartgefühls, der heilige Franz von Sales, pflegte zu sagen: „Seid so liebevoll wie ihr könnt und erinnert euch daran, dass man mit einem Tropfen Honig mehr Fliegen fängt als mit einer Tonne Essig.“

5. Lernt von mir

Wie lange könnte man noch bei diesen pastoralen Anwendungen der Seligpreisung der Sanftmütigen verweilen! Gehen wir nun aber zu einer persönlicheren Anwendung über. Jesus sagt: „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin“ (Mt 5,39). Als ihm aber einer der Schergen während des Prozesses vor dem Hohen Rat auf die Wange schlug, steht nicht geschrieben, dass er auch die andere hinhielt; vielmehr antwortete er ruhig: „Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?“ (Joh 18,23).

Das bedeutet, dass nicht alles in der Bergrede auf mechanische Weise wortwörtlich zu nehmen ist. Wie es seinem Stil entspricht, bedient sich Jesus Hyperbeln und einer reichen Bildersprache, um den Jüngern eine gewisse Idee besser einzuprägen. Im Fall des Hinhaltens der anderen Wange zum Beispiel ist das Wichtige nicht die Geste des Hinhaltens der anderen Wange (was manchmal provokatorisch erscheinen kann), sondern: auf Gewalt nicht mit weiterer Gewalt zu antworten; Zorn mit Ruhe zu besiegen.

In diesem Sinn ist die Antwort Jesu auf den Schergen ein Beispiel von göttlicher Sanftmut. Um die Tragweite dieser Geste zu ermessen, genügt es, sie mit der Reaktion seines Apostels Paulus (der ja auch ein Heiliger ist!) in einer analogen Situation zu vergleichen. Als der Hohepriester Hananias während des Prozesses vor dem Hohen Rat befiehlt, den Paulus auf den Mund zu schlagen, antwortet dieser: „Dich wird Gott schlagen, du übertünchte Wand!“ (Apg 23,2-3).

Ein anderer Zweifel ist zu klären. In der Bergrede sagt Jesus: „Wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du (gottloser) Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein“ (Mt 5,22). Mehrere Male wendet er sich im Evangelium an die Schriftgelehrten und Pharisäer, indem er sie „Heuchler, Narren und Blinde“ (vgl. Mt 23,17) nennt; er tadelt die Jünger und nennt sie „Narren“ auch „schwerfällig“ (vgl. Lk, 24, 25).

Auch hierfür gibt es eine einfache Erklärung. Man muss zwischen Schmähung und Korrektur unterscheiden. Jesus verurteilt die Worte aus dem Zorn heraus, die darauf abzielen, den Bruder zu beleidigen, nicht aber jene, die darauf abzielen, sich des eigenen Fehlers bewusst zu werden und ihn zu korrigieren. Ein Vater, der zum Sohn sagt: „Du bist undiszipliniert, ungehorsam“, beabsichtigt nicht, ihn zu beleidigen, sondern er will ihn korrigieren. Die Heilige Schrift nennt Moses „einen sehr demütigen Mann“ und bezeichnet ihn als „demütiger als alle Menschen auf der Erde“ (Num 12,3), und dennoch hören wir ihn, als er sich an das Volk Israel wendet, ausrufen: „Ist das euer Dank an den Herrn, du dummes, verblendetes Volk?“ (Dt 32,6).

Das, was entscheidend ist, ist dies: Kommen die Worte aus Liebe oder aus Hass? „Liebe, und tu, was du willst“, sagte der heilige Augustinus. Sei es, dass du verbesserst, sei es, dass du es laufen lässt: Wenn du liebst, wird es Liebe sein. Die Liebe fügt dem Nächsten nichts Böses zu; aus der Wurzel der Liebe können wie aus einem guten Baum nur gute Früchte erwachsen. (10)

6. Sanftmütig im Herzen

So sind wir auf dem eigentlichen Terrain der Seligpreisung der Sanftmütigen angelangt: dem Herzen. Jesus sagt: „Lernt von mir, der ich sanftmütig und im Herzen demütig bin“. Die wahre Sanftmut entscheidet sich hier! Aus dem Herzen, so sagt er, kommen Mord, Bosheit, Verleumdung (vgl. Mk 7,21-22), so wie aus dem inneren eines kochenden Vulkans Lava, Asche und glühende Lavabrocken ausgespieen werden. Die größten Gewaltausbrüche wie Kriege und Konflikte rühren, wie der heilige Jakobus erklärt, „vom Kampf der Leidenschaften in eurem Innern“ her (vgl. Jak 4,1-2). So wie es im Herzen einen Ehebruch gibt, so gibt es im Herzen auch einen Mord: „Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Mörder“, schreibt Johannes (1 Joh 3,15).

Es gibt nicht nur die tätige Gewalt, sondern auch eine gedankliche Gewalt. Wenn wir darauf achten, so können wir bemerken, dass sich in unserem Innern fast ständig „Abläufe hinter verschlossener Tür“ vollziehen. Ein namenloser Mönch schrieb dazu sehr eindringliche Worte. Es spricht ein Mönch, das aber, was er sagt, gilt nicht nur für die Klöster; er bezieht sich auf das Beispiel der Untertanen, aber es ist offensichtlich, dass sich das Problem auch für die Oberen stellt, in anderer Form.

„Beobachte auch nur für einen Tag den Verlauf deiner Gedanken: Es werden dich die Häufigkeit und die Lebhaftigkeit deiner inneren Kritiken mit vorgestellten Gesprächspartnern überraschen, wenigstens mit jenen, die dir nahe stehen. Was ist im Allgemeinen ihr Ursprung? Dieser: die Unzufriedenheit aufgrund der Oberen, die uns kein Wohlwollen entgegenbringen, die uns nicht schätzen und uns nicht verstehen. Sie sind streng, ungerecht oder zu kleinlich mit uns und anderen ‚Unterdrückten‘. Wir sind unzufrieden mit unseren Brüdern, die ‚verständnislos, starrköpfig, oberflächlich, verwirrt oder beleidigend‘ sind… So baut sich in unserem Geist ein Gerichtshof auf, in dem wir Staatsanwalt, Präsident, Richter und Geschworener sind – selten Anwalt, es sei denn zu unseren Gunsten. Die Unrechte werden vorgeführt, die Rechte abgewogen; man verteidigt und rechtfertigt sich; der Abwesende wird verurteilt. Vielleicht werden Pläne der Vergeltung oder der Rache ausgearbeitet…“ (11)

Da sie nicht gegen äußere Feinde kämpfen mussten, haben die Wüstenväter aus dieser inneren Schlacht gegen die Gedanken (die berühmten „logismoi“) die Prüfbank für jeden geistlichen Fortschritt gemacht. Sie haben auch eine Kampfmethode entwickelt. Unser Geist, so sagten sie, besitzt die Fähigkeit, den Gang eines Gedanken zu durchlaufen und von Anfang an zu erkennen, worauf er hinaus will: auf die Entschuldigung des Bruders oder auf seine Verurteilung, auf den eigenen Ruhm oder auf den Ruhm Gottes. „Aufgabe des Mönches ist es“, sagt ein Ältester, „seine Gedanken aus der Ferne ankommen zu sehen“ (12) – natürlich um ihnen den Weg zu versperren, wenn sie nicht der Liebe entsprechen. Die einfachste Weise, das zu tun, besteht in einem kurzen Gebet, oder darin, an die Person, die zu verurteilen wir versucht sind, ein Segenswort zu richten. Nachher, wenn man wieder heiteren Sinns ist, wird man beurteilen können, ob und wie ihm gegenüber zu handeln ist.

7. Sich mit der Sanftmut Christi bekleiden

Eine Beobachtung vor dem Abschluss. Die Seligpreisungen sind ihrem Wesen nach darauf ausgerichtet, umgesetzt zu werden. Sie rufen zur Nachahmung auf, sie betonen das Werk des Menschen. Es besteht das Risiko, dass man entmutigt wird, wenn man die eigene Unfähigkeit feststellt, sie im eigenen Leben zu verwirklichen, und die abgrundtiefe Distanz, die zwischen Ideal und Praxis besteht.

Es muss darauf verwiesen werden, was am Anfang gesagt wurde: Die Seligpreisungen sind das Selbstbildnis Jesu. Er hat sie alle im höchsten Grad gelebt; aber – und das ist die gute Nachricht – er hat sie nicht nur für sich gelebt, sondern auch für uns alle. Angesichts der Seligpreisungen sind wir nicht nur zur Nachahmung aufgerufen, sondern auch dazu, sie uns zu Eigen zu machen. Im Glauben können wir aus der Sanftmut Christi schöpfen, wie aus seiner Reinheit des Herzens und aus einer jeden anderen seiner Tugenden. Wir dürfen beten, um Sanftmut zu erlangen, wie Augustinus betete, um keusch zu sein: „Mein Gott, du gebietest mir, sanftmütig zu sein; gib mir das, was du mir gebietest, und gebiete mir, was du willst“ (13).

„Bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde („prautes“), Geduld!“ (Kol 3,12), schreibt der Apostel an die Kolosser. Milde und Sanftmut sind wie ein Gewand, das Christus für uns erworben hat und das wir im Glauben anziehen dürfen – nicht um von ihrer Umsetzung im täglichen Leben dispensiert zu sein, sondern um dazu ermuntert zu werden. Die Sanftmut („prautes“) wird von Paulus zu den Früchten des Geistes gezählt (Gal 5,23), das heißt zu den Eigenschaften, die vom Gläubigen im eigenen Leben bezeugt werden, wenn er den Geist Christi annimmt und sich bemüht, ihm zu entsprechen.

Wir können somit schließen, indem wir zusammen vertrauensvoll die schöne Anrufung aus der Litanei des Heiligsten Herzens wiederholen: „Jesus, sanft und demütig von Herzen – bilde unser Herz nach deinem Herzen – Jesu, mitis et humilis corde: fac cor nostrum secundum cor tutum.“

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(1) Gandhi, Buddismo, Cristianesimo, Islamismo, Roma, Tascabili Newton Compton, 1993, p. 53.
(2) Augustinus, Confessiones, X, 43.
(3) Einführung in Also sprach Zarathustra (hg. 1919).
(4) F. Nietzsche, Opere complete, VIII, Frammenti postumi 1888-1889, Adelphi, Mailand 1974, S. 56 (Nachlass Fragmente).
(5) R. Girard, Vedo Satana cadere come folgore, Milano, Adelphi, 2001, pp. 211-236.
(6) Augustinus, Epistola 93, 5: „Zuerst war ich der Ansicht, dass keiner mit Gewalt zur Einheit Christi geführt werden solle, sondern dass man nur mit dem Wort handeln, mit der Diskussion kämpfen und mit der Vernunft überzeugen solle“
(7) Vgl. Augustinus Epistulae 173, 10; 208, 7.
(8) Corrado Augias – Mauro Pesce, Inchiesta su Gesù. Mondadori, Mailand 2006, S.52.
(9) Ignatius von Antiochien, An die Epheser, 10,2-3.
(10) Augustinus, Kommentar zum Ersten Johannesbrief 7,8 (PL 35, 2023)
(11) Un monaco, Le porte del silenzio, Ancora, Mailand 1986, S. 17 (Original: Les porte du silence, Libraire Claude Martigny, Genève).
(12) Detti e fatti dei Padri del deserto, hg. von C. Campo und P. Draghi, Rusconi, Mailand 1979, S. 66.
(13) Vgl. Augustinus, Confessiones, X, 29.

ZENIT-Übersetzung des vom Autor zur Verfügung gestellten Originals

[Modificato da @Andrea M.@ 18/03/2007 13.28]

@Andrea M.@
00domenica 18 marzo 2007 13:25
Der Kommentar zum vierten Fastensonntag: Laetare
P. Raniero Cantalamessa: Wie Jesus den Sündern begegnet

Kommentar zum Evangelium des vierten Fastensonntags (Lesejahr C)

ROM, 15. März 2007 (ZENIT.org).- Der Umgang Jesu mit den Sündern steht im Mittelpunkt des Kommentars von P. Raniero Cantalamessa OFM Cap. zum kommenden Sonntag (Jos 5,9a.10-12; 2 Kor 5,17-21; Lk 15,1-3.11-32). Der Prediger des Päpstlichen Hauses hebt hervor, dass das Neue an der Haltung Jesu nicht nur Güte und Barmherzigkeit seien, sondern die Tatsache, dass er die Sünden vergibt.


Jesus und die Sünder

Das Evangelium des vierten Fastensonntags ist einer der berühmtesten Abschnitte des Lukasevangeliums und aller vier Evangelien: das Gleichnis vom verlorenen Sohn. In diesem Gleichnis ist alles überraschend! Nie zuvor ist Gott vor den Menschen mit solchen Zügen gezeichnet worden. Dieses Gleichnis allein hat mehr Herzen berührt als alle Reden der Prediger zusammen. Es besitzt eine unglaubliche Macht, auf den Geist, das Herz, die Phantasie und das Gedächtnis zu wirken; es vermag, die verschiedensten Saiten zum Schwingen zu bringen: das Bedauern, die Scham, das Heimweh.

Das Gleichnis wird mit diesen Worten eingeführt: „Alle Zöllner und Sünder kamen zu ihm, um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen. Da erzählte er ihnen ein Gleichnis“ (Lk 15,1-3). Wir wollen diesem Hinweis folgen und über die Haltung Jesu gegenüber den Sündern nachdenken. Dabei werden wir das ganze Evangelium durchschreiten – mit dem Ziel, das wir uns für diese Kommentare zu den Evangelien der Fastenzeit vorgenommen haben: besser zu erkennen, wer Jesus war und was wir geschichtlich von ihm wissen.

Die Aufnahme, die Jesus im Evangelium den Sündern vorbehält, ist bekannt, genauso wie der Widerstand, den ihm diese Haltung auf Seiten der Verteidiger des Gesetzes einbrachte, die ihn anklagten, ein „Fresser und Säufer, ein Freund der Zöllner und Sünder“ zu sein (Lk 7,34). Einer der geschichtlich am besten bezeugten Aussprüche Jesu lautet: „Ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten“ (Mk 2,17). Die Sünder fühlten sich von ihm angenommen und nicht verurteilt, und so hörten sie ihm gerne zu.

Wer aber waren die Sünder, welche Gruppe von Personen wurde mit diesem Begriff umschrieben? Um die Gegner Jesu vollends zu rechtfertigen, hat einmal jemand behauptet, dass mit diesem Begriff „die bewussten und reulosen Gesetzesbrecher“ gemeint seien, mit anderen Worten die Kriminellen, die Gesetzlosen. Träfe dies zu, so hätten die Gegner Jesu allen Grund gehabt, sich zu entrüsten und ihn für eine verantwortungslose und für die Gesellschaft gefährliche Person zu halten. Das wäre so, als würde heute ein Priester einen völlig normalen Umgang mit Mafiosi und Kriminellen pflegen und ihre Einladungen zum Essen annehmen – unter dem Vorwand, zu ihnen von Gott zu sprechen.

In Wirklichkeit stehen die Dinge nicht so. Die Pharisäer hatten ihre Sicht des Gesetzes und von dem, was ihm konform oder entgegengesetzt war, und sie betrachteten alle als schlechte Menschen, die sich nicht ihrer starren Interpretation des Gesetzes anpassten. Kurz: Sünder waren für sie all jene, die ihre Traditionen und Vorschriften nicht befolgten. Derselben Logik folgend, betrachteten die Essener von Qumran die Pharisäer als Ungerechte und Gesetzesbrecher! Dasselbe passiert auch heute. Gewisse ultraorthodoxe Gruppen sehen automatisch all jene als Häretiker an, die nicht genauso denken wie sie.

Ein herausragender Gelehrter schreibt dazu: „Es ist nicht wahr, dass Jesus den verstockten und reulosen Kriminellen die Tore des Reiches öffnete oder die Existenz von ‚Sündern‘ leugnete. Jesus widersetzte sich den im Leib Israels errichtete Barrieren, aufgrund derer einige Israeliten so behandelt wurden, als befänden sie sich außerhalb des Bundes und als wären sie von der Gnade Gottes ausgeschlossen“ (James Dunn).

Jesus leugnet nicht, dass es die Sünde und die Sünder gibt. Bewiesen wird das durch die Tatsache, dass er sie „Kranke“ nennt. Diesbezüglich ist er strenger als seine Gegner. Während diese den begangenen Ehebruch verurteilen, so verurteilt er auch den ersehnten Ehebruch; während das Gesetz sagt: Du sollst nicht töten!, sagt Jesus, dass man den Bruder nicht einmal hassen oder beschimpfen darf. Zu den Sündern, die sich ihm nähern, sagt er: „Geh, und sündige nicht mehr“; er sagt nicht: „Geh, und mach weiter wie vorher.“

Das, was Jesus verurteilt, ist, es selbst festzulegen, was wahre Gerechtigkeit ist, die anderen zu verachten und dabei sogar die Möglichkeit zu leugnen, dass sich ändern können. Die Art und Weise, mit der Lukas das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner einleitet, ist bezeichnend: „Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte Jesus dieses Beispiel“ (Lk 18,9). Jesus war gegenüber denen, die die Sünder voller Verachtung verurteilten, strenger als gegenüber den Sündern selbst.

Die größte Neuheit und das Unerhörteste in der Beziehung zwischen Jesus und den Sündern ist aber nicht seine Güte und Barmherzigkeit ihnen gegenüber. Das könnte man auch rein menschlich erklären. Es gibt in seiner Haltung vielmehr etwas, was sich nicht menschlich erklären lässt, also nicht dadurch, dass man glaubt, Jesus sei ein Mensch wie jeder andere auch. Und zwar liegt es daran, dass er Sünden vergibt.

Jesus sagt zum Gelähmten: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Daraufhin schreien seine Gegner entrüstet: „Wer kann die Sünden vergeben, wenn nicht Gott allein?“ Jesus erwiderte, damit sie wüssten, dass der Menschensohn die Macht hat, die Sünden zu vergeben: „Steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause.“ Keiner konnte kontrollieren, ob die Sünden jenes Mannes vergeben waren oder nicht, alle aber konnten feststellen, dass er aufstand und wegging. Das sichtbare Wunder war Zeugnis für das unsichtbare.

Somit trägt auch die Untersuchung der Beziehungen zwischen Jesu und den Sündern zur Antwort auf die Frage: „Wer war Jesus?“ bei. War er ein Mensch wie jeder andere, ein Prophet, oder war er mehr, ein anderer? Während seines irdischen Lebens behauptete Jesus nie ausdrücklich, Gott zu sein (und wir haben das Warum schon früher erklärt), sondern in seinem Handeln sprach er sich Befugnisse zu, die allein Gott zukommen.

Kehren wir jetzt aber zum Sonntagsevangelium und zum Gleichnis vom verlorenen Sohn zurück: Es gibt ein gemeinsames Element, das die drei Gleichnisse vom verlorenen Schaf, der verlorenen Drachme und des verlorenen Sohnes, die nacheinander im 15. Kapitel des Lukasevangeliums erzählt werden, miteinander verbindet. Was sagen der Hirt, der das verlorene Schaf wieder gefunden hat, und was die Frau, die die Drachme wieder gefunden hat? „Freut euch mit mir!“ Und was sagt Jesus am Ende eines jeden dieser drei Gleichnisse? „Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren.“

Das Leitmotiv der drei Gleichnisse ist also die Freude Gottes (Bei dem Spruch: „Es herrscht bei den Engeln Gottes Freude“, handelt es sich um eine jüdische Weise, um zu sagen: Es herrscht „Freude in Gott“). In unserem Gleichnis ist Freude im Überschwang vorhanden, und sie wird zum Fest. Der Vater weiß nicht mehr, was er noch tun und erfinden soll: Er befiehlt, das schönste Gewand hervorzuholen und den Ring mit dem Siegel der Familie; er lässt das fetteste Kalb schlachten, und zu allen sagt er: „Wir wollen essen und fröhlich sein. Denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wieder gefunden worden.“

In einem seiner Romane beschreibt Dostojewskij ein Bild, das ganz so aussieht, als hätte er es tatsächlich beobachtet. Eine Frau des Volkes hält in ihren Armen ein wenige Wochen altes Kind, als dieses, wie sie sagt, zum ersten Mal lächelt. Ganz ehrfürchtig schlägt sie das Kreuzzeichen, und wer sie fragt, warum sie das tue, dem sagt sie: „Auf dieselbe Weise, wie eine Mutter glücklich ist, wenn sie das erste Lächeln ihres Kindes sieht, freut sich Gott ein jedes Mal, wenn ein Sünder auf die Knie fällt und zu ihm aus ganzem Herzen betet“ („L'Idiota – Der Idiot“, Mailand 1983, 272).

Wer weiß, ob nicht irgendjemand, wenn er das hört, Gott endlich ein wenig von dieser Freude schenken will, von dieser Freude, ihn vor seinem Sterben anzulächeln.

@Andrea M.@
00giovedì 22 marzo 2007 19:08
Der Kommentar zum fünften Fastensonntag
P. Raniero Cantalamessa: Was Jesus von Ehe und Familie hält

Kommentar zum Evangelium des fünften Fastensonntags (Lesejahr C)

ROM, 22. März 2007 (ZENIT.org).- Die Haltung Jesu zu Ehe und Familie steht im Mittelpunkt des Kommentars von P. Raniero Cantalamessa OFM Cap. zum kommenden Sonntag (Jes 43,16-21; Phil 3,8-14; Joh 8,1-11). Der Prediger des Päpstlichen Hauses weist darauf hin, dass es nicht stimme, dass Jesus die familiären und verwandtschaftlichen Bande gering achte. Im Gegenteil: „Wie viele Wunder vollbringt Jesus gerade, um dem Schmerz der Väter, der Mütter und der Verwandten zu lindern, um so die Bande der Verwandtschaft zu würdigen. Bei mehr als einer Gelegenheit teilt er sogar den Schmerz der Verwandten und weint mit ihnen.“


Jesus, die Frau und die Familie

Das Evangelium des fünften Fastensonntags handelt von der Frau, die beim Ehebruch ertappt wurde und die Jesus vor der Steinigung rettet. Jesus will damit nicht sagen, dass Ehebruch keine Sünde wäre oder dass es sich dabei um eine Kleinigkeit handeln würde. Mit den Worten, die er am Ende an die Frau richtet, verurteilt er ihn ausdrücklich, wenn auch auf sehr delikate Weise: „Sündige nicht mehr.“ Jesus beabsichtigt also nicht, die Tat der Frau zu rechtfertigen; er beabsichtig vielmehr, die Haltung derer zu verurteilen, die immerfort darauf warten, die Sünde des anderen zu sehen und anzuprangern. Das haben wir schon das letzte Mal gesehen, als wir die Haltung Jesu im Umgang mit den Sündern im Allgemeinen analysierten.

Wie gewohnt wollen gehen wir jetzt aber von dieser Episode ausgehen und unseren Horizont erweitern, indem wir im gesamten Evangelium der Haltung Jesu zu Ehe und Familie nachspüren. Unter den vielen Thesen, die in den letzten Jahren im Zusammenhang mit Jesus vorgebracht worden sind, findet sich auch jene über einen Jesus, der im Namen einer anderen Gemeinschaft, in der Gott der Vater und die Jünger Brüder und Schwestern sind, die natürliche Familie und alle verwandtschaftlichen Bande ablehnt; dieser Jesus hätte den Seinen ein Leben mit ständigem Unterwegssein vorgeschlagen, wie es zur damaligen Zeit außerhalb Israels die Kyniker taten.

In der Tat finden wir im Evangelium Worte Christi über die Familienbande, die auf den ersten Blick Verwirrung hervorrufen. Jesus sagt: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein“ (Lk 14,26). Das sind sicher harte Worte, aber schon der Evangelist Matthäus hat sich darum bemüht, den Sinn des Wortes „gering achten“ zu erklären, das Jesus an dieser Stelle gebraucht: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig“ (Mt 10,37). Jesus fordert also nicht, dass man Eltern oder Kinder gering achten soll, sondern er warnt davor, sie so sehr zu lieben, dass man um ihretwillen darauf verzichtet, ihm nachzufolgen.

Hier eine weitere Begebenheit, die Verwirrung hervorruft: Eines Tages sagt Jesus zu einem: „Folge mir nach! Der erwiderte: Lass mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben.“ Jesus erwiderte: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes!“ (Lk 9,59f). So etwas! Gewisse Kritiker toben da los: Das ist doch eine skandalöse Forderung, ja geradezu Ungehorsam gegenüber Gott, der doch befiehlt, sich um die Eltern zu kümmern; eine offensichtliche Verletzung der Pflichten der Kinder!

Das, was den Ärger dieser Kritiker erregt, ist für uns ein wertvoller Beweis: Bestimmte Worte Christi lassen sich nicht erklären, wenn man ihn nur als einen einfachen Menschen ansieht, wenn auch als einen außerordentlichen Menschen. Nur Gott kann die Forderung aufstellen, dass man ihn mehr lieben soll als den eigenen Vater; dass man – um ihm nachzufolgen – darauf verzichten muss, beim Begräbnis des Vaters dabei zu sein. Was nützt dem verstorbenen Vater in einer Perspektive des Glaubens, wie es jene Christi ist, mehr? Dass sein Sohn in jenem Moment zu Hause ist, um seinen Leichnam zu beerdigen, oder dass er dem Gesandten jenes Gottes nachfolgt, vor den seine Seele jetzt hintreten muss?

Vielleicht gibt es aber noch eine einfache Erklärung. Es ist bekannt, dass der Ausdruck „Lass mich heimgehen und meinen Vater begraben“ manchmal benutzt wurde, um zu sagen: „Lass mich gehen, um bei meinem Vater zu sein, solange er noch lebt; wenn er gestorben ist, werde ich ihn begraben und dir dann nachfolgen.“ Jesus würde somit nur fordern, die Antwort auf seinen Ruf nicht auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben. Viele von uns Ordensleuten, Priestern und Ordensschwestern haben diese Wahl treffen müssen, und oft waren die Eltern aufgrund unseres Gehorsams besonders glücklich.

Die Verwirrung angesichts dieser Forderungen Jesu stellt sich vor allem dann ein, wenn man nicht den Unterschied zwischen dem beachtet, was Jesus von allen gleichermaßen verlangte, und dem, was er nur von einigen verlangte – von jenen, die dazu berufen waren, sein ganz dem Reich gewidmetes Leben zu teilen, wie es auch heute in der Kirche geschieht.

Es gibt weitere Aussagen Jesu, die untersucht werden können. Jemand könnte Jesus sogar vorwerfen, dass er für die sprichwörtlichen Schwierigkeiten zwischen der Schwiegermutter und der Schwiegertochter verantwortlich ist, da er doch sagte: „Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter“ (Mt 10,35). Es ist aber nicht er, der entzweit. Es die unterschiedliche Haltung, die jedes Familienmitglied ihm gegenüber einnimmt, die diese Entzweiung verursacht. Das ist eine Tatsache, die auch heute in vielen Familien zu beobachten ist.

Alle Zweifel bezüglich der Haltung Jesu zu Familie und Ehe werden hinfällig, wenn wir das Evangelium in seiner Gesamtheit beachten und nicht nur Teile herauspicken, die uns gerade geeignet erscheinen. Was die Unauflöslichkeit der Ehe angeht, ist Jesus strenger als alle anderen. Kraftvoll bekräftigt er das Gebot, den Vater und die Mutter zu ehren, und geht dabei so weit, dass er die Praxis verurteilt, sich unter religiösen Vorwänden der Pflicht, den Eltern beizustehen, zu entziehen (vgl. Mk 7,11-13). Wie viele Wunder vollbringt Jesus gerade, um dem Schmerz der Väter (der Vater des Epileptikers), der Mütter (die Kanaaniterin, die Witwe von Nain) und der Verwandten (die Schwestern der Lazarus) zu lindern, um so die Bande der Verwandtschaft zu würdigen. Bei mehr als einer Gelegenheit teilt er sogar den Schmerz der Verwandten und weint mit ihnen.

In einer Zeit wie der heutigen, in der sich alles zu verschwören scheint mit dem Ziel, die Bande und die Werte der Familie zu schwächen, fehlte es gerade noch, dass wir sogar Jesus und das Evangelium gegen sie wendeten! Das aber ist eine der vielen Merkwürdigkeiten in Bezug auf Jesus, die wir kennen müssen, um uns nicht beeindrucken zu lassen, wenn wir über neue Entdeckungen hören, die mit den Evangelien zu tun haben sollen. Jesus ist gekommen, um die Ehe zu ihrer ursprünglichen Schönheit zu führen (vgl. Mt 19,4-9); um sie zu stärken und nicht, um sie zu schwächen.

ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals
ingaH
00venerdì 23 marzo 2007 18:49
Danke, Andrea, dass Du die neueste Predigt gepostet hast! Ich wollte es gerade machen, habe aber revchtzeitig noch gesehen, dass Du es schon gemacht hast. [SM=g27823] [SM=g27823] [SM=g27823]
@Andrea M.@
00sabato 24 marzo 2007 00:39
Noch mehr von Pater Raniero
Warnung vor der Gedankenlosigkeit: P. Raniero Cantalamessa über die Verantwortung der Reichen

Dritte Predigt vor dem Papst und dessen Kurienmitarbeitern in der Fastenzeit

ROM, 23. März 2007 (ZENIT.org).- Der Prediger des Päpstlichen Hauses, P. Raniero Cantalamessa OFM Cap, hat dazu geraten, der eigenen Gedankenlosigkeit den Kampf anzusagen.

Im Mittelpunkt der dritten Predigt in der Fastenzeit 2007, die der Kapuzinerpater am heutigen Freitagvormittag in der Kapelle „Redemptoris Mater“ des Apostolischen Palasts vor Papst Benedikt XVI. und dessen Mitarbeitern in der Römischen Kurie hielt, standen die Worte Jesu: „Selig, die die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden“ (Lk 6,21).

Zur Erklärung dieser Worte verwies der Prediger auf das Gleichnis des reichen Prassers und des armen Lazarus (Lk 16,19-31), denn es verdeutliche nicht nur, „wer die Hungernden und wer die Satten sind, sondern auch und vor allem, warum erstere selig gepriesen und letztere zu Unglücklichen erklärt werden“. Das Ende des Gleichnisses – „Als nun der Arme starb, wurde er von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben… in der Unterwelt.“ –offenbare, „wo die beiden Wege, der enge Weg der Armut und jener breite und geräumige Weg der Gedankenlosigkeit, hinführen“. Doch das sei nicht alles: Jesus weise ausdrücklich darauf hin, „dass es für den Reichen einen Ausweg gegeben hätte; dieser Ausweg besteht darin, sich an Lazarus zu erinnern, der vor seiner Tür sitzt, und sein üppiges Mahl mit ihm zu teilen.“

Für den, der alles hat, besteht der Weg zum Heil nach Worten von P. Cantalamessa darin, „sich Freunde mit Hilfe des ungerechten Mammons zu machen (vgl. Lk 16,9) und die Armen, Krüppel, Lahmen und Blinden zu Tisch einzuladen (vgl. Lk 14,13-14)“. Allerdings beneble der Wohlstand und die „Sattheit“ die Sinne und hindere einen daran, diesen Weg auch tatsächlich einzuschlagen.

Angesichts des Skandals des Hungers und der Armut in der Welt gelte es zuallererst, die eigene Gleichgültigkeit abzuschütteln und uns „von einer gesunden Unruhe befallen zu lassen. Wir sind aufgerufen, das Seufzen Christi zu teilen: ‚Ich habe Mitleid mit diesen Menschen; sie sind schon drei Tage bei mir und haben nichts mehr zu essen – misereor super turba‘ (vgl. Mk 8,2). Wenn man die Gelegenheit hat, mit eigenen Augen zu sehen, was Elend und Hunger sind; wenn man die Dörfer im Binnenland oder die Peripherien der großen Städte in gewissen afrikanischen Ländern besucht (Ich habe das vor ein paar Monaten in Ruanda erlebt), steigt das Mitleid in die Kehle und macht einen sprachlos.“

Die Überwindung des ungerechten Grabens zwischen Arm und Reich „ist die dringlichste und größte Aufgabe“, betonte der Ordenspriester. Die vielen Hungernden, Bettler und Obdachlosen in den Straßen bedeuteten, „dass wir dem ‚reichen Prasser‘ gleichen, der so tat, als kenne er den Bettler Lazarus nicht, ‚der vor seiner Tür lag‘“, wie Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Sollicitudo rei socialis schrieb.

Und Benedikt XVI. stellte in seiner Ansprache an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte diplomatische Korps im Januar fest: „Wie könnten wir unter den Hauptproblemen nicht an die Millionen von Menschen denken, besonders an die Frauen und Kinder, denen es an Wasser, Nahrung und Obdach fehlt? Der Skandal des Hungers, der sich weiter verschlimmert, ist inakzeptabel in einer Welt, die über Güter, Wissen und Mittel verfügt, um dem ein Ende zu setzen.“

P. Cantalamessa erinnerte seine Zuhörer auch daran, dass es unter den Millionen von Christen, die in den verschiedenen Kontinenten an der Sonntagsmesse teilnehmen, einige gebe, „die daheim jegliches Gut zu ihrer Verfügung haben, und andere, die nichts haben, was sie ihren Kindern zu Essen geben könnten“.

Deshalb wiederholte er die Worte des Papstes, die im kürzlich veröffentlichten Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Sacramentum caritatis („Sakrament der Liebe“) über die Eucharistie enthalten sind: „Die Speise der Wahrheit drängt uns, die menschenunwürdigen Situationen anzuprangern, in denen man wegen des von Ungerechtigkeit und Ausbeutung verursachten Nahrungsmangels stirbt, und gibt uns neue Kraft und neuen Mut, ohne Unterlass am Aufbau der Zivilisation der Liebe zu arbeiten“ (7).

Die Gerechtigkeit, die Gott vom Menschen fordere, „lässt sich im doppelten Gebot der Liebe zu Gott und zum Nächsten zusammenfassen“ (vgl. Mt 22,40), hob der Prediger hervor. „Es ist also die Liebe zum Nächsten, die diejenigen, die nach Gerechtigkeit hungern, dazu drängen muss, sich um jene zu kümmern, die nach Brot hungern. Das ist das große Prinzip, durch das das Evangelium im sozialen Bereich wirkt.“

Die Seligpreisungen, die im Zentrum der Predigt-Reihe zur Fastenzeit 2007 im Vatikan stehen, sind nach Worten von P. Raniero Cantalamessa „eine Art Infrarotlicht: Sie zeigen uns ein anderes Bild von der Wirklichkeit, das einzig wahre Bild. Denn sie zeigen, was am Ende Bestand habt, wenn das ‚Schema dieser Welt‘ vergangen sein wird.“
@Andrea M.@
00sabato 24 marzo 2007 00:40
Im Wortlaut
Dritte Predigt von P. Raniero Cantalamessa OFM Cap. zur Fastenzeit 2007 im Vatikan

„Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden“

ROM, 23. März 2007 (ZENIT.org).- Wir veröffentlichen die dritte Predigt zur Fastenzeit 2007, die P. Raniero Cantalamessa OFM Cap. am Freitagvormittag vor Papst Benedikt XVI. und dessen Mitarbeitern in der Römischen Kurie gehalten hat.

Der Prediger des Päpstlichen Hauses widmete die Meditation dem Wort Jesu: „Selig, die die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden“ (Lk 6,21).

Bezug nehmend auf das Gleichnis vom reichen Prasser erklärte der Kapuzinerpater, dass uns Jesus zu verstehen geben wolle, „dass es für den Reichen einen Ausweg gegeben hätte; dieser Ausweg besteht darin, sich an Lazarus zu erinnern, der vor seiner Tür sitzt, und sein üppiges Mahl mit ihm zu teilen.“

Die Seligpreisungen sind für den Prediger wie ein Infrarotlicht: „Sie zeigen uns ein anderes Bild von der Wirklichkeit, das einzig wahre Bild. Denn sie zeigen, was am Ende Bestand habt, wenn das ‚Schema dieser Welt‘ vergangen sein wird.“



* * *



1. Geschichte und Geist

Die Forschung über den historischen Jesus, die heute so sehr in Mode ist – sowohl die von gläubigen Gelehrten als auch jene radikale Forschung der Ungläubigen –, birgt eine große Gefahr in sich: zu glauben, dass nur das, was auf diesem neuen Weg auf den irdischen Jesus zurückgeführt werden kann, „authentisch“ ist, während alles andere nicht geschichtlich und somit auch „nicht authentisch“ wäre. Dies würde bedeuten, unbotmäßig die Mitteln, die Gott zur Verfügung stehen, um sich zu offenbaren, auf das rein Geschichte zu reduzieren; es würde bedeuten, dass man die Glaubenswahrheit der biblischen Inspiration und somit den offenbarten Charakter der Schrift stillschweigend aufgibt.

Es scheint, dass sich dieses Bedürfnis, die Forschung über das Neue Testament nicht nur auf das Geschichtliche zu beschränken, unter diversen Bibelwissenschaftlern breit macht. Im Jahr 2005 fand am Bibelinstitut eine Beratung über „Kanonische Kritik und theologische Interpretation“ („Canon Criticism and Theological Interpretation“) statt, die die Teilnahme herausragender Gelehrter des Neuen Testaments verzeichnen konnte. Sie hatte das Ziel, diesen Aspekt der Bibelforschung zu fördern, der der kanonischen Dimension der Schrift Rechnung trägt und dabei die historische Forschung mit der theologischen Dimension verbindet.
All dem entnehmen wir, dass das „Wort Gottes“ und somit das, was für den Gläubigen verbindlich ist, nicht der hypothetische „ursprüngliche Kern“ ist, den die Historiker auf verschiedenen Wegen rekonstruieren, sondern das, was in den Evangelien geschrieben steht. Das Ergebnis der historischen Forschung verdient große Beachtung, da es zum Verständnis auch der späteren Entwicklungen in der Tradition beiträgt; den Ausruf „Wort Gottes“ aber werden wir weiterhin am Ende der Lesung der evangelischen Texte aussprechen, nicht am Ende der Lektüre des jüngst veröffentlichten Buches über den historischen Jesus.

Diese Bemerkungen sind für uns besonders nützlich, wenn es um die Frage geht, wie wir mit den Seligpreisungen im Evangelium umgehen sollen. Es ist bekannt, dass uns die Seligpreisungen in zwei verschiedenen Versionen überliefert worden sind. Matthäus hat acht Seligpreisungen, Lukas nur vier, denen dann ebenso viele entgegengesetzte Wehrufe folgen; bei Matthäus stehen sie in indirekter Form: „Selig die Armen“; „selig, die Hunger haben“, bei Lukas in direkter: „Selig ihr Armen“; „selig, die ihr Hunger habt“. Matthäus spricht von den Armen „vor Gott“ und den „Hungernden nach Gerechtigkeit“, Lukas einfach von den „Armen“ und „Hungernden“.

Nach der ganzen kritischen Arbeit, die gemacht wurde, um das, was in den Seligpreisungen auf den historischen Jesus zurückgeht, von dem, was von Matthäus und Lukas stammt, zu unterscheiden (1), besteht die Aufgabe der Gläubigen von heute nicht darin, eine der beiden Fassungen als die authentische anzunehmen und die andere beiseite zu legen. Es handelt sich vielmehr darum, die Botschaft anzunehmen, die in der einen und in der anderen Fassung des Evangeliums enthalten ist, und – entsprechend der heutigen Umstände und Bedürfnisse – jedes Mal den wahren Wert der einen oder der anderen Perspektive zu erkennen, wie dies ja auch ein jeder der beiden Evangelisten zu seiner Zeit getan hat.

2. Wer sind die Hungernden, wer die Satten?

Wir wollen diesem Prinzip folgen und denken heute über die Seligpreisung der Hungernden nach. Dabei gehen wir von der Fassung des Lukas aus: „Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden“ (Lk 6,21). In einem zweiten Moment werden wir sehen, dass die Fassung des „Hungers nach Gerechtigkeit“ bei Matthäus nicht im Gegensatz zu der bei Lukas steht, sondern diese bestätigt und bekräftigt.

Die Hungernden der Seligpreisung des Lukas gehören zu keiner anderen Gruppe als die Armen der ersten Seligpreisung. Es handelt sich um dieselben Armen, die im dramatischsten Aspekt ihrer Existenz betrachtet werden, dem Nahrungsmangel. Daneben sind die „Satten“ die Reichen, die in ihrem Wohlstand nicht nur das Bedürfnis, sondern auch die Wollust des Essens befriedigen können. Jesus selbst ist es, der darum besorgt ist zu klären, wer die Satten und wer die Hungernden sind. Er hat das mit dem Gleichnis des reichen Prassers und des armen Lazarus getan (Lk 16,19-31). Auch dieses Gleichnis betrachtet Armut und Reichtum unter dem Gesichtspunkt des Mangels beziehungsweise des Überflusses an Nahrung: Der Reiche „aß jeden Tag reichlich“, während sich der Arme erfolglos danach sehnte, „mit dem seinen Hunger zu stillen, was vom Tisch des Reichen herunterfiel“.

Dieses Gleichnis erklärt aber nicht nur, wer die Hungernden und wer die Satten sind, sondern auch und vor allem, warum erstere selig gepriesen und letztere zu Unglücklichen erklärt werden. „Als nun der Arme starb, wurde er von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben… in der Unterwelt.“ Dieser Schluss offenbart, wo die beiden Wege, der enge Weg der Armut und jener breite und geräumige Weg der Gedankenlosigkeit, hinführen.

Der Reichtum und das Sattsein haben die Tendenz, den Menschen in einem irdischen Horizont einzuschließen, denn „wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz“ (Lk 12,34); sie betäuben sein Herz mit Schlemmerei und Trinkerei, ersticken in ihm das Samenkorn des Wortes (vgl. Lk 21,34); sie lassen ihn vergessen, dass er in der darauf folgenden Nacht Rechenschaft ablegen muss über sein Leben (Lk 16,19-31); sie erschweren den Eintritt in das Reich Gottes so sehr, dass „eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ (Lk 18,25).

Der reiche Prasser und alle anderen Reichen des Evangeliums sind nicht aufgrund der bloßen Tatsache ihres Reichtums verdammt, sondern wegen des Gebrauchs, den sie von ihm machen oder nicht machen. Im Gleichnis vom reichen Prasser gibt Jesus zu verstehen, dass es für den Reichen einen Ausweg gegeben hätte; dieser Ausweg besteht darin, sich an Lazarus zu erinnern, der vor seiner Tür sitzt, und sein üppiges Mahl mit ihm zu teilen.

Das Heilmittel besteht mit anderen Worten darin, „sich Freunde mit Hilfe des ungerechten Mammons“ zu machen (Der untreue Verwalter wird dafür gelobt, dass er das getan hat, wenn auch in einem falschen Bereich; vgl. Lk 16,9), die Armen, Krüppel, Lahmen und Blinden zu Tisch einzuladen (vgl. Lk 14,13-14). Die Sattheit aber benebelt den Geist und macht es äußerst schwer, diesen Weg einzuschlagen (Der Weg des Zachäus zeigt, dass es möglich ist, aber auch, dass es selten vorkommt). Das erklärt auch den Grund für die Wehrufe gegenüber den Reichen und Satten – ein „Wehe“, das aber mehr ein „Paßt auf!“ ist als ein „ihr Verfluchten!“

3. Er hat die Hungernden mit seinen Gaben beschenkt

Aus dieser Perspektive ist der beste Kommentar zu den Seligpreisungen der Armen und Hungernden das, was Maria im Magnificat sagt:

„Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten.
Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
er stürzt die Mächtigen vom Thron
und erhöht die Niedrigen.
Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben
und lässt die Reichen leer ausgehen“ (Lk 1,51-53).

Maria beschreibt mit einer Reihe von machtvollen Verben in der Zeitform des Aoristes einen Umsturz und einen radikalen Wechsel der Seiten unter den Menschen: „Er stürzt – er erhöht; er beschenkt – er lässt leer ausgehen“: etwas also, was bereits geschehen ist beziehungsweise was gewöhnlich geschieht, wenn Gott wirkt. Schaut man auf die Geschichte, so hat es nicht den Anschein, dass es da eine soziale Revolution gegeben hätte, durch die die Reichen auf einen Schlag arm und die Hungernden mit Nahrung gesättigt worden wären. Wenn also das, was man sich erwartete, eine soziale und sichtbare Veränderung gewesen ist, so wurde diese Erwartung von der Geschichte Lügen gestraft.

Der Umsturz hat sich aber ereignet, allerdings im Glauben! Das Reich Gottes ist offenbar geworden, und das hat eine stille, aber radikale Revolution hervorgerufen. Der Reiche erscheint wie ein Mensch, der eine ungeheure Geldsumme beiseite gelegt hat. Über Nacht ereignete sich dann ein Staatsstreich, mit dem eine Geldentwertung von 100 Prozent einherging, und am Morgen steht der Reiche auf und weiß nicht, dass er erbärmlich arm ist. Im Gegensatz zu ihm sind die Armen und Hungernden im Vorteil, weil sie bereit sind, die neue Wirklichkeit anzunehmen; sie fürchten die Veränderung nicht, sie haben ein bereites Herz.

Der heilige Jakobus sagte, als er sich an die Reichen wandte: „Ihr aber, ihr Reichen, weint nur und klagt über das Elend, das euch treffen wird. Euer Reichtum verfault und eure Kleider werden von Motten zerfressen“ (Jak 5,1-2). Auch hier gibt es kein Zeugnis darüber, dass zur Zeit des heiligen Jakobus die Reichtümer der Reichen in den Getreidespeichern verfault wären. Der Apostel will uns vielmehr sagen, dass etwas geschehen ist, was ihnen jeden echten Wert genommen hat, dass sich ein neuer Reichtum offenbart hat: „Hat Gott nicht die Armen in der Welt auserwählt, um sie durch den Glauben reich und zu Erben des Königreichs zu machen, das er denen verheißen hat, die ihn lieben?“ (Jak 2,5).

Mehr als „eine Anstachelung dazu, die Mächtigen von den Thronen zu stürzen und die Niedrigen zu erhöhen“, wie es manchmal geschrieben steht, stellt das „Magnificat“ eine gesunde Mahnung dar, die sich an die Reichen und Mächtigen angesichts der fürchterlichen Gefahr richtet, der sie ausgesetzt sind – genauso wie die „Wehrufe“ Jesu und das Gleichnis vom reichen Prasser.

4. Ein Gleichnis von großer Aktualität

Eine Reflexion über die Seligpreisung der Hungernden kann sich nicht damit begnügen, deren exegetische Bedeutung zu erklären; sie muss uns helfen, die Situation, die sich um uns herum abspielt, mit den Augen des Evangeliums zu lesen und in ihr so zu handeln, wie es in der Seligpreisung gefordert wird.

Das Gleichnis vom reichen Prasser und vom armen Lazarus wiederholt sich heute, mitten unter uns, auf weltweiter Ebene. Die beiden Gestalten stehen sogar für zwei Hemisphären: Der reiche Prasser steht für die nördliche Hemisphäre (Westeuropa, Amerika, Japan), und der arme Lazarus stellt, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, die südliche Hemisphäre dar. Zwei Gestalten, zwei Welten – die „Erste“ und die „Dritte Welt“. Zwei Welten ungleicher Größe: Das, was wir „Dritte Welt“ nennen, macht nämlich in Wirklichkeit zwei Drittel der Welt aus (Dieser Ausdruck bürgert sich immer mehr ein: nicht „Dritte Welt“ – „third world“ –, sondern „Zwei-Drittel-Welt“ – „two-third-world“.

Einmal hat jemand die Erde mit einem Raumschiff verglichen, das im Weltall unterwegs ist und in dem einer der drei Astronauten an Bord 85 Prozent der vorhandenen Ressourcen verbraucht und sich abmüht, sich auch noch die verbleibenden 15 Prozent unter den Nagel zu reißen. In den reichen Ländern herrscht Verschwendung. Vor einigen Jahren berechnete eine Studie des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums, dass von 161 Milliarden Kilo an produzierten Lebensmitteln 43 Milliarden Kilo – rund ein Viertel! – auf dem Müll landen. Von diesen weggeworfenen Nahrungsmitteln könnten, wenn man nur wollte, leicht etwa zwei Milliarden Kilo retten: eine Menge, die ausreicht, um ein Jahr lang vier Millionen Mensachen zu ernähren.

Die größte Sünde gegen die Armen und die Hungernden ist wahrscheinlich die Gleichgültigkeit: so zu tun, als ob man nicht sähe; dieses „Darüber-hinweg-Gehen“, das „Weitergehen“ (vgl. Lk 10,31). Die ungeheuer große Menge an Hungernden, Bettlern und Obdachlosen, die keine medizinische Versorgung bekommen und vor allem keinerlei Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben, bedeuten, wie Johannes Paul II. in der Enzyklika Sollicitudo rei socialis schrieb, „dass wir dem ‚reichen Prasser‘ gleichen, der so tat, als kenne er den Bettler Lazarus nicht, ‚der vor seiner Tür lag‘ (vgl. Lk 16, 19-31)“ (2).

Wir neigen dazu, zwischen uns und die Armen eine Scheibe aus Doppelglas zu stellen. Die Wirkung dieses Doppelglases, das heute so häufig benutzt wird, besteht darin, Kälte und Lärm fernzuhalten; es löst alles auf oder lässt es abgeschwächt, „wattiert“ durch. Und in der Tat sehen wir, wie sich die Armen bewegen, wie sie sich aufregen und schreien – auf dem Fernsehschirm, auf den ersten Seiten der Zeitungen und der Missionszeitschriften. Ihr Schrei gelangt aber aus weiter Ferne zu uns. Er trifft nicht unser Herz; oder er trifft es nur für einen Bruchteil eines Augenblicks.

Das Erste, was in Bezug auf die armen Menschen zu tun ist, ist: das Doppelglas zu zerbrechen, die Gleichgültigkeit abzuschütteln und mangelnde Sensibilität zu überwinden; die Abwehrmechanismen wegzuwerfen und uns angesichts des schrecklichen Elends, das in der Welt herrscht, von einer gesunden Unruhe befallen zu lassen. Wir sind aufgerufen, das Seufzen Christi zu teilen: „Ich habe Mitleid mit diesen Menschen; sie sind schon drei Tage bei mir und haben nichts mehr zu essen – misereor super turba“ (vgl. Mk 8,2). Wenn man die Gelegenheit hat, mit eigenen Augen zu sehen, was Elend und Hunger sind; wenn man die Dörfer im Binnenland oder die Peripherien der großen Städte in gewissen afrikanischen Ländern besucht (Ich habe das vor ein paar Monaten in Ruanda erlebt), steigt das Mitleid in die Kehle und macht einen sprachlos.

Den ungerechten und skandalösen Graben zu eliminieren, den es zwischen Satten und Hungernden in der Welt gibt, ist die dringlichste und größte Aufgabe, die die Menschheit ungelöst mit sich herumgetragen hat, als sie ins dritte Jahrtausend eintrat. Das ist eine Aufgabe, in der sich vor allem die Religionen auszeichnen und in der sie sich jenseits aller Rivalitäten vereint wiederfinden. Eine so gigantische Aufgabe kann von keinem „Leader“ und von keiner politischen Macht bewältigt werden, da diese von den Interessen der eigenen Nation und oft von mächtigen wirtschaftlichen Kräften bestimmt werden. Der Heilige Vater Benedikt XVI. hat mit dem kräftigen Aufruf, den er im Januar an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte diplomatische Korps richtete, ein Beispiel gegeben; so wie er das bereits im vergangenen Jahr zur selben Gelegenheit getan hatte:

„Wie könnten wir unter den Hauptproblemen nicht an die Millionen von Menschen denken, besonders an die Frauen und Kinder, denen es an Wasser, Nahrung und Obdach fehlt? Der Skandal des Hungers, der sich weiter verschlimmert, ist inakzeptabel in einer Welt, die über Güter, Wissen und Mittel verfügt, um dem ein Ende zu setzen.“ (3)

6. „Selig, die nach der Gerechtigkeit hungern“

Ich sagte am Anfang, dass die beiden Fassungen der Seligpreisung der Hungernden – die des Lukas und jene des Matthäus – keine Alternative sind, sondern dass sie sich gegenseitig ergänzen und miteinander verbinden. Matthäus spricht nicht von einem Hunger in materiellem Sinn, sondern von Hunger und Durst „nach Gerechtigkeit“. Zu diesen Worten gibt es zwei fundamentale Interpretationen.

In der einen, die der Linie der lutherischen Theologie folgt, wird die Seligpreisung bei Matthäus im Licht dessen gesehen, was der heilige Paulus über die Rechtfertigung durch den Glauben sagt. Hunger und Durst nach Gerechtigkeit haben bedeutet also, sich des eigenen Bedürfnisses nach Gerechtigkeit bewusst zu werden; der Unfähigkeit, sich selbst durch die eigenen Werke Gerechtigkeit zu verschaffen, und sie somit demütig von Gott zu erwarten. Die andere Interpretation sieht in der Gerechtigkeit nicht die Gerechtigkeit, „die Gott selbst verwirklicht oder die er gewährt, sondern jene, die er vom Menschen fordert“ (4), mit anderen Worten: die Werke der Gerechtigkeit.

Im Licht dieser Interpretation, die bei weitem verbreiteter und exegetisch begründeter ist, stehen der Hunger im materiellen Sinn bei Lukas und der Hunger im geistigen Sinn bei Matthäus nicht länger beziehungslos nebeneinander. Auf der Seite der Hungernden und der Armen stehen, gehört zu den Werken der Gerechtigkeit und wird gerade das Kriterium sein, auf dessen Grundlage am Ende der Welt die Einteilung in Gerechte und Ungerechte vorgenommen werden wird (vgl. Mt 25).

Die vollkommene Gerechtigkeit, die Gott vom Menschen fordert, lässt sich im doppelten Gebot der Liebe zu Gott und zum Nächsten zusammenfassen (vgl. Mt 22,40). Es ist also die Liebe zum Nächsten, die diejenigen, die nach Gerechtigkeit hungern, dazu drängen muss, sich um jene zu kümmern, die nach Brot hungern. Das ist das große Prinzip, durch das das Evangelium im sozialen Bereich wirkt. Diesbezüglich hatte die liberale Theologie eine richtige Einsicht.

„An keiner Stelle des Evangeliums“, so schreibt einer seiner berühmtesten Vertreter, Adolph von Harnack, „endecken wir, dass er lehren würde, man müsse gegenüber den Brüdern gleichgültig bleiben. Die evangelische Gleichgültigkeit (sich nicht um Nahrung, Kleidung, das Morgen zu kümmern) bringt mehr als alles andere das zum Ausdruck, was jeder gegenüber der Welt, ihren Gütern und Schmeicheleien fühlen sollte. Wenn es dagegen aber um unseren Nächsten geht, möchte das Evangelium nicht einmal von Gleichgültigkeit hören, sondern schreibt vielmehr Liebe und Gerechtigkeit vor. Darüber hinaus werden im Evangelium die geistigen und die zeitlichen Bedürfnisse der Brüder als voneinander vollkommen untrennbar betrachtet.“ (5).

Das Evangelium wiegelt die Hungernden nicht dazu auf, sich Gerechtigkeit zu verschaffen und einen Aufstand zu machen; auch deshalb nicht, weil sie zu Lebzeiten Jesu im Unterscheid zu heute weder über theoretische noch praktische Mittel dazu verfügten. Das Evangelium fordert von ihnen nicht das nutzlose Opfer, sich in der Nachfolge von irgendeinem aufwieglerischen Zeloten oder irgendeinem Spartacus töten zu lassen. Jesus wirkt auf die starke Seite ein, nicht auf die schwache. Er begegnet dem Zorn und dem Sarkasmus der Reichen mit seinem „Wehe“ (vgl. Lk 16,14), er lässt es nicht die Opfer tun.

Im Evangelium um jeden Preis Modelle oder ausdrückliche Aufforderungen an die Armen und Hungernden zu finden, sich dafür einzusetzen, um die eigene Situation mit der eigenen Kraft zu ändern, ist nutzlos und anachronistisch und lässt den wahren Beitrag verblassen, den es für ihr Anliegen leisten kann. Darin hat Rudolph Bultmann Recht, wenn er schreib, dass das Christentum kein Programm zur Veränderung der Welt kenne und dass es keinen Vorschläge zur Reform der politischen und sozialen Bedingungen machen kann (6), auch wenn seine Behauptung einer gewissen Differenzierung bedarf.

Die Weg der Seligpreisungen ist nicht der einzige, um das Problem des Reichtums und der Armut, des Hungers und der Sattheit anzugehen. Es gibt andere Wege, die der Fortschritt des sozialen Bewusstseins ermöglicht hat, denen die Christen in rechter Weise ihre Unterstützung und die Kirche mit ihrer Soziallehre eine Unterscheidungsmöglichkeit geben.

Die große Botschaft der Seligpreisungen besteht darin, dass – unabhängig davon, ob die Reichen und Satten sie befolgen oder unterlassen – auch schon beim jetzigen Stand der Dinge die Situation der Armen und der nach Gerechtigkeit Hungernden der Lage der ersteren vorzuziehen ist.

Es gibt Ebenen und Aspekte der Wirklichkeit, die nicht mit dem Auge allein erfasst werden können, sondern nur mit Hilfe eines besonderen infraroten oder ultravioletten Lichts. Dieses Licht wird bei Satellitenfotografien oft benützt. Das Bild, das man mit diesem Licht erhält, ist sehr charakteristisch und für den, der daran gewöhnt ist, dasselbe Panorama bei natürlichem Licht zu sehen, höchst überraschend. Die Seligpreisungen sind eine Art Infrarotlicht: Sie zeigen uns ein anderes Bild von der Wirklichkeit, das einzig wahre Bild. Denn sie zeigen, was am Ende Bestand habt, wenn das „Schema dieser Welt“ vergangen sein wird.

7. Eucharistie und Teilen

Jesus hat uns zum Gastmahl des reichen Prassers eine perfekte Antithese hinterlassen: die Eucharistie. Sie ist die tägliche Feier jenes großen Gastmahls, zu dem der Herr die „Armen, Krüppel, Lahmen und Blinden“ (vgl. Lk 14,13-14) einladen wird, das heißt all die armen Lazarusse, die es gibt. In ihr verwirklicht sich die vollkommene „Tischgesellschaft“: dieselbe Speise und dasselbe Getränk in derselben Menge für alle; für den, der vorsteht, wie für den Letzten der Gesellschaft; für den, der sehr wohlhabend ist, wie für den sehr Armen.

Die Verbindung zwischen dem materiellen und dem geistlichen Brot war in den ersten Zeiten der Kirche, als das Abendmahl des Herrn, „agape“ genannt, im Kontext eines brüderlichen Mahls stattfand, in dem sowohl das gewöhnliche als auch das eucharistische Brot miteinander geteilt wurde, gut zu sehen.

Den Korinthern, die diesbezüglich ausgeartet waren, schrieb der heilige Paulus: „Was ihr bei euren Zusammenkünften tut, ist keine Feier des Herrenmahls mehr; denn jeder verzehrt sogleich seine eigenen Speisen, und dann hungert der eine, während der andere schon betrunken ist“ (1 Kor 11,20-22). Eine sehr schwerwiegende Anklage! Es ist so, als sagte er: Was ihr da tut, ist keine Eucharistie mehr!

Heute wird die Eucharistie nicht mehr im Rahmen eines solchen gemeinsamen Mahles gefeiert, der Kontrast aber zwischen denen, die im Überfluss leben, und denen, die das Notwenige nicht haben, hat planetarische Ausmaße angenommen. Wenn wir die von Paulus beschriebene Situation von der Ortskirche Korinths auf die Weltkirche projizieren, werden wir mit Erschrecken feststellen, dass es das ist, was auch heute geschieht, und zwar objektiv, auch wenn es nicht immer selbst verschuldet sein mag. Unter den Millionen von Christen, die in den verschiedenen Kontinenten an der Sonntagsmesse teilnehmen, befinden sich einige, die daheim jegliches Gut zu ihrer Verfügung haben, und andere, die nichts haben, was sie ihren Kindern zu Essen geben könnten.

Das jüngst erschienene Nachsynodale Apostolische Schreiben über die Eucharistie erinnert uns kraftvoll daran: „Die Speise der Wahrheit drängt uns, die menschenunwürdigen Situationen anzuprangern, in denen man wegen des von Ungerechtigkeit und Ausbeutung verursachten Nahrungsmangels stirbt, und gibt uns neue Kraft und neuen Mut, ohne Unterlass am Aufbau der Zivilisation der Liebe zu arbeiten“ (7).

Die am besten ausgegebenen acht Promille vom Einkommensteueraufwand sind die, die für die Kirche bestimmt sind und dazu verwendet werden, die verschiedenen nationalen und diözesanen Caritas-Teilorganisationen zu unterstützen, die Mensen für die Armen und Initiativen für die Ernährung in den Entwicklungsländern. Eines der Zeichen für die Lebendigkeit unserer traditionellen religiösen Gemeinschaften sind diese Mensen für die Armen, die es in fast in allen Städten gibt, in denen täglich Tausende von Essensrationen verteilt werden, und das in einer Atmosphäre des Respekts und der Annahme. Es ist nur ein Tropfen in einem Meer, aber auch das Meer, so sagte Mutter Teresa von Kalkutta, setzt sich aus vielen kleinen Tropfen zusammen.

Ich möchte mit einem Gebet schließen, das wir in meiner Gemeinschaft jeden Tag vor dem Essen beten: „Segne, Herr, diese Speise, die wir aus deiner Güte empfangen. Hilf uns, auch für die zu sorgen, die nichts haben, und lass uns eines Tages an deinem himmlischen Mahl teilhaben. Durch Christus unsern Herrn.“

- - -

(1) Vgl.. J. Dupont, „Le beatitudini“, 2 voll. Edizioni Paoline 1992 (ed. originale, „Les Béatitudes“, Gabalda et C.ie, Parigi 19732).
(2) Johannes Paul II., Enzyklika „Sollicitudo rei socialis“, Nr. 42.
(3) Ansprache an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps, 8. Januar 2007.
(4) Vgl. Dupont, II, pp. 554 ff.
(5) A. von Harnack, „Il cristianesimo e la società“, Mendrisio 1911, S. 12 ff. (Originaltitel: „Das Christentum und die Gesellschaft“).
(6) R. Bultmann, „Il cristianesimo primitivo2, Milano 1964, S. 203 (Originaltitel: „Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen“).
(7) Nachsynodales Apostolisches Schreiben „Sacramentum caritatis“, Nr.90.

ZENIT-Übersetzung des vom Autor zur Verfügung gestellten Originals
@Andrea M.@
00giovedì 29 marzo 2007 22:44
Kommentar zur Lesung am Palmsonntag
Warum endete Jesus am Kreuz? P. Raniero Cantalamessa zum Palmsonntag

„Jesus war, ist und bleibt das größte Geschenk, das das Judentum der Welt gemacht hat“

ROM, 29. März 2007 (ZENIT.org) - P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., Prediger des Päpstlichen Hauses, geht in seinem Kommentar zum Palmsonntag der Frage nach, wer im Letzten für den Tod Jesu verantwortlich ist. Zu diesem Zweck stellt er verschiedene Thesen vor, die diesbezüglich vertreten worden sind. Der Prediger schließt mit einer Betrachtung über die Passion Christi nach Lukas, die die übermenschliche Würde und die unendliche Geduld des Sohnes Gottes offenbare.

„Nicht eine Geste oder ein Wort, das das verleugnen würde, was er in seinem Evangelium, besonders in den Seligpreisungen, gepredigt hat. Er stirbt und erbittet dabei die Vergebung für diejenigen, die ihn ans Kreuz schlagen.“
Die Lesungen zum Palmsonntag: Jesajas 50,4-7; Philipper 2, 6-11; Lukas 22,14-23,56.


Ein historischer Blick auf die Passion Christi

Im Evangelium des Palmsonntags hören wir den ganzen Passionsbericht nach dem Lukasevangelium. Und wir stellen uns die entscheidende Frage, auf die hin die Evangelien geschrieben worden sind: Warum endete ein solcher Mensch am Kreuz? Was ist der Grund für den Tod Jesu, wer sind die Verantwortlichen?

Nach einer Theorie, die im Zuge der Tragödie der Shoa in Umlauf kam, sind für den Tod Christ in erster Linie, ja vielleicht sogar ausschließlich Pilatus und die römischen Autoritäten verantwortlich. Das deutet darauf hin, dass der Grund eher politischer als religiöser Natur war. Die Evangelien haben Pilatus gerechtfertigt und die Verantwortung den Führern des Judentums gegeben – um die römischen Autoritäten in Bezug auf sie zu beruhigen und sie sich zu Freunden zu machen.

Diese These entstand aus einer richtigen Sorge heraus, die wir heute alle teilen: von Grund auf jeden Vorwand für Antisemitismus auszurotten, der dem Volk der Juden soviel Übel bereitet hat, gerade auch seitens der Christen. Das größte Unrecht aber, das man einem lobenswerten Anliegen antun kann, ist, es mit falschen Argumenten zu verteidigen. Der Kampf gegen den Antisemitismus muss auf ein solideres Fundament gestellt werden, als es eine diskutierbare (und diskutierte) Interpretation der Passionsberichte ist.

Die Tatsache, dass das jüdische Volk als solches nicht für den Tod Christi verantwortlich gemacht werden kann, beruht auf einer biblischen Gewissheit, die die Christen mit den Juden gemeinsam haben, die aber auch bedauerlicher- und merkwürdigerweise für viele Jahrhunderte vergessen worden ist: „Nur wer sündigt, soll sterben. Ein Sohn soll nicht die Schuld seines Vaters tragen und ein Vater nicht die Schuld seines Sohnes“ (Ez 18,20). Die Lehre der Kirche kennt nur eine Sünde, die vom Vater auf den Sohn weitervererbt wird: die Ursünde, keine andere.

Nachdem der Antisemitismus zurückgewiesen worden ist, möchte ich nun erklären, warum die These, dass die jüdischen Autoritäten nichts mit dem Tod Christi zu tun hatten, und die These, nach der sein Tod im Wesentlichen auf politische Gründe zurückzuführen ist, nicht akzeptiert werden können. Paulus schildert in den um das Jahr 50 verfassten ältesten Teilen seiner Briefe hinsichtlich der Verurteilung Jesu grundsätzlich dieselbe Version wie die Evangelien. Er sagt, dass die „Juden Jesus getötet haben“ (1 Thess 2,15); und über das, was kurz vor Jesu Ankunft in der Stadt Jerusalem geschehen war, musste er besser informiert sein als wir heute, insofern er ja selbst einst die Verurteilung des Nazareners gebilligt und „erbittert“ verteidigt hatte.

Man kann die Passionsberichte nicht lesen und dabei all das ignorieren, was ihnen vorausgeht. Die vier Evangelien bezeugen – man kann sogar sagen: auf jeder Seite – einen wachsenden religiösen Gegensatz zwischen Jesus und einer einflussreichen Gruppe von Juden (Pharisäern, Gelehrten des Gesetzes, Schriftgelehrten), was das Sabbatgebot angeht, die Haltung gegenüber den Sündern und Zöllnern sowie über das Reine und Unreine.

Ist aber erst einmal das Vorhandensein dieses Kontrasts bewiesen, wie könnte man dann denken, dass er im Moment der Abrechnung keine Rolle gespielt hätte und dass die jüdischen Autoritäten sich entschlossen hätten, Jesus bei Pilatus einzig aus Angst vor einem bewaffneten Einschreiten der Römer beinahe widerwillig anzuzeigen?

Pilatus war kein Mensch, der für Argumente der Gerechtigkeit sensibel gewesen wäre, die ihn dazu hätten veranlassen können, sich um das Schicksal eines unbekannten Juden zu kümmern; er war ein harter und grausamer Mann, dazu bereit, im Blut jedes geringste Anzeichen von Revolte zu ersticken. All das ist wahr. Er versucht nicht, Jesus zu retten, weil er Mitleid mit dem Opfer gehabt hätte, sondern nur, weil er sich seinen Anklägern aus Prinzip widersetzen wollte, mit denen es seit seiner Ankunft in Judäa einen unterschwelligen Krieg gab. Natürlich schmälert das nicht im Geringsten die Verantwortung des Pilatus bei der Verurteilung Christi. Er ist nicht weniger für Jesu Tod verantwortlich als die Anführer der Juden.

Es ist darüber hinaus nicht angebracht, „mehr Jude sein zu wollen, als es die Juden sind“. Aus den Nachrichten, die im Talmud und in anderen jüdischem Quellen enthalten sind, geht trotz aller historischer Widersprüchlichkeiten eines klar hervor: Die jüdische Tradition hat nie eine Teilnahme der religiösen Autoritäten der damaligen Zeit an der Verurteilung Christi geleugnet. Sie hat ihre Verteidigung nicht auf einer Verleugnung von Tatsachen aufgebaut, sondern – wenn überhaupt – auf der Leugnung dessen, dass es sich aus jüdischer Perspektive um eine Straftat gehandelt hat und dass Jesu Verurteilung eine ungerechte Verurteilung war.

Auf die Frage: „ Warum wurde Jesus zum Tode verurteilt?“, muss man also nach den bereits vorgeschlagenen Untersuchungen und Alternativen noch eine weitere Antwort geben, die den Evangelien entnommen ist. Jesus wurde aus einem Motiv heraus verurteilt, das im Wesentlichen religiös geprägt war, allerdings geschickt in politischen Begriffen formuliert wurde, um den römischen Statthalter besser zu überzeugen. Der Titel des Messias, auf dem die Anklage des Hohen Rates beruhte, wird während des Prozesses vor Pilatus zum „König der Juden“; und dies wird auch der Titel der Verurteilung sein, der später am Kreuz angebracht wird: „Jesus von Nazareth, König der Juden“. Jesus hatte sein ganzes Leben lang dafür gekämpft, diese Verwirrung auszuräumen, aber am Schluss wird es gerade diese Verwirrung sein, die über sein Schicksal entscheidet.

Dies lässt die Diskussion über den Gebrauch offen, der von den Erzählungen der Passion gemacht wird. In der Vergangenheit wurden sie oft auf unangebrachte Weise benutzt (zum Beispiel in gewissen theatralischen Aufführungen), mit antijüdischen Verzerrungen. Das wird heute von allen eindeutig zurückgewiesen, auch wenn vielleicht noch etwas zu tun ist, um aus der christlichen Feier der Passion all das zu eliminieren, was die Sensibilität der jüdischen Brüder und Schwestern verletzten kann. Jesus war, ist und bleibt trotz allem das größte Geschenk, das das Judentum der Welt gemacht hat. Ein Geschenk, das es unter anderem teuer bezahlt hat…

Den Schluss, den wir aus unseren historischen Erwägungen ziehen können, ist also, dass religiöse und politische Macht, die Führer des Hohen Rates und der römische Statthalter beide aus unterschiedlichen Gründen an der Verurteilung Christi teilhatten. Wir müssen allerdings sofort hinzufügen, dass die Geschichte diesbezüglich nicht alles und nicht einmal das Wesentliche sagt. Für den Glauben waren wir es alle mit unseren Sünden, die Jesus dem Tod ausgeliefert haben.

Lassen wir jetzt die historischen Fragen beiseite und widmen wir uns für einen Augenblick der Betrachtung. Wie verhält sich Jesus in der Passion? Übermenschliche Würde, unendliche Geduld. Nicht eine Geste oder ein Wort, das das verleugnen würde, was er in seinem Evangelium, besonders in den Seligpreisungen, gepredigt hat. Er stirbt und erbittet dabei die Vergebung für diejenigen, die ihn ans Kreuz schlagen.

Und dennoch ist nichts in ihm, was einer stolzen Geringschätzung des Schmerzes des Stoikers ähneln würde. Seine Reaktion auf das Leiden und die Grausamkeit ist extrem menschlich: Im Garten von Getsemani zittert er und schwitzt Blut; er möchte, dass der Kelch an ihm vorübergehe; er sucht Halt bei seinen Jüngern; am Kreuz verleiht er mit lauter Stimme seiner Trostlosigkeit Ausdruck: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Ein Zug dieser übermenschlichen Größe Christi in der Passion fasziniert mich vor allem: sein Schweigen. „Jesus schwieg“ (Mt 26,63). Er schweigt vor Kaiphas; er schweigt vor Pilatus, den sein Schweigen irritiert, und er schweigt vor Herodes, der hoffte, ihn ein Wunder vollbringen zu sehen (vgl. Lk 23,8). „Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte aber nicht“ (1 Petr 2,23).

Nur in einem Moment kurz vor dem Tod bricht er das Schweigen, und er tut dies mit jenem „lauten Schrei“ am Kreuz, kurz bevor er stirbt, und der dem römischen Soldaten das Bekenntnis entlockte: „Dieser Mensch war in Wahrheit der Sohn Gottes.“

ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals

[Modificato da @Andrea M.@ 29/03/2007 22.45]

@Andrea M.@
00giovedì 5 aprile 2007 07:21
Vierte Predigt zur Fastenzeit im Vatikan
„Wer den Bruder anklagt, den klagt Gott an“: P. Raniero Cantalamessa ruft zur Barmherzigkeit auf

Vierte Predigt vor dem Papst und dessen Kurienmitarbeitern in der Fastenzeit

ROM, 30. März 2007 (ZENIT.org).- Der Prediger des Päpstlichen Hauses, P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., hat davor gewarnt, andere zu verachten und abzuurteilen.

Im Mittelpunkt der vierten Predigt in der Fastenzeit 2007, die der Kapuzinerpater am heutigen Freitagvormittag in der Kapelle „Redemptoris Mater“ des Apostolischen Palasts vor Papst Benedikt XVI. und dessen Mitarbeitern in der Römischen Kurie hielt, standen die Worte Jesu: „Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden“ (Mt 5,7).

Da die Liebe und Barmherzigkeit Gottes gerade zu Ostern auf vollkommene Weise hervortritt, machte sich P. Cantalamessa einige Worte zu Eigen, die in der Botschaft Benedikt s XVI. für die Fastenzeit zu finden sind: „So werde die Fastenzeit für jeden Christen zur erneuten Erfahrung der Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus geschenkt worden ist – eine Liebe, die wir unsererseits dem Nächsten weiterschenken müssen.“

Diese Worte bildeten das Leitmotiv der Ausführungen des päpstlichen Predigers, der unter anderem mit Kafkas „Der Prozess“ die „unglaubliche Nachricht“ verdeutlichte, die uns die Liturgie der Kirche zu Ostern überbringt: „dass es die wirkliche Freisprechung tatsächlich gibt, dass sie nicht nur ein Märchen ist, etwas Wunderschönes, was aber unerreichbar wäre“.

Er erinnerte seine Zuhörer daran, dass Jesus „den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben [hat]. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat“ (Kol 2,14). Für die, die an Jesus Christus glaubten, gebe es nun keine Verurteilung mehr, bekräftige der Prediger. „Vom Kreuz Christi ist eine Quelle von Wasser und Blut hervorgesprudelt, und nicht nur einer, sondern alle, die sich darin baden, werden geheilt.“

Da die Christen von Gott geliebt und „seine auserwählten Heiligen“ sind, sollten sie sich, wie der heilige Paulus an die Kolosser schreibt, „mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld“ bekleiden. „Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ (Kol 3,12-13).

Da Gott voller Erbarmen sei, könne auch die Kirche und ihre Glieder nichts anderes als „dives in misericordia“ sein, fuhr der Ordenspriester fort. „Von der Haltung Christi gegenüber den Sündern, die wir ausreichend analysiert haben, wollen wir einige Kriterien ableiten. Jesus banalisiert die Sünde nicht, sondern er findet eine Weise, die es ihm ermöglicht, sich nicht von den Sündern abzusondern, sondern sie vielmehr an sich zu ziehen. Er sieht in ihnen nicht nur das, was sie sind, sondern das, zu dem sie werden können, wenn sie in der Tiefe ihres Elends und ihrer Hoffnungslosigkeit von der göttlichen Barmherzigkeit überrascht werden.“

Somit müsse man den anderen vergeben und ihn wenn möglich immer entschuldigen. „Wenn es um uns selbst geht, gilt das Sprichwort: ‚Wer sich vergibt, den klagt Gott an; wer sich anklagt, dem vergibt Gott.‘ Wenn es aber um die anderen geht, gilt das Gegenteil: ‚Wer dem Bruder vergibt, dem vergibt Gott; wer den Bruder anklagt, den klagt Gott an.‘“

Abschließend erklärte der Prediger des Päpstlichen Hauses, dass die Vergebung für die Familie und jede Form von Gemeinschaft „wie das Öl für den Motor“ sei: „Wenn man sich in ein Auto setzt, das keinen Tropfen Öl im Motor hat, dann wird nach wenigen Kilometern alles in Flammen aufgehen.“
@Andrea M.@
00giovedì 5 aprile 2007 07:23
Die Predigt des Paters im Wortlaut
Vierte Predigt von P. Raniero Cantalamessa OFM Cap. zur Fastenzeit 2007 im Vatikan

„Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden“

ROM, 30. März 2007 (ZENIT.org).- Wir veröffentlichen die vierte Predigt zur Fastenzeit 2007, die P. Raniero Cantalamessa OFM Cap. am Freitagvormittag vor Papst Benedikt XVI. und dessen Mitarbeitern in der Römischen Kurie gehalten hat.

Der Prediger des Päpstlichen Hauses widmete die Meditation dem Wort Jesu: „Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden“ (Mt 5,7). Er wies darauf hin, dass Jesus die Sünde verabscheue, aber gekommen sei, um die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten. „Da sie sich von ihm angenommen und nicht verurteilt fühlten, hörten ihm die Sünder gern zu.“

Jesus sei mit denen, „die die Sünder voller Verachtung verurteilten, strenger als mit den Sündern selbst, unterstrich der Prediger des Papstes, der Papst Benedikt XVI. und die Mitarbeiter der Römischen Kurie dazu ermutigte, die Barmherzigkeit Gottes selbst zu erfahren, um durch diese Erfahrung selbst in die Lage zu kommen, Erbarmen walten zu lassen.

* * * * * * * *


1. Die Barmherzigkeit Christi

Die Seligpreisung, über die wir in dieser letzten Betrachtung zur Fastenzeit nachdenken wollen, ist die fünfte in der Anordnung des Matthäus: „Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.“ Wir gehen wie immer von der Feststellung aus, dass die Seligpreisungen das Selbstbildnis Christi sind, und stellen auch dieses Mal sofort die Frage: Wie hat Jesus die Barmherzigkeit gelebt? Was sagt uns sein Leben über diese Seligpreisung?

In der Bibel findet sich das Wort Barmherzigkeit mit zwei grundsätzlichen Bedeutungen: Die erste weist auf die Haltung des stärkeren Teils (im Bund, Gott selbst) gegenüber dem schwächeren Teil hin und kommt in der Regel in der Vergebung von Untreue und Schuld zum Ausdruck; die zweite Bedeutung verweist auf die Haltung gegenüber den Bedürfnissen des anderen und drückt sich in den so genannten „Werken der Barmherzigkeit“ aus (In diesem zweiten Sinn tritt der Begriff häufig Buch Tobias auf). Es gibt sozusagen eine Barmherzigkeit des Herzens und eine Barmherzigkeit der Hände.

Im Leben Jesu stechen beide Formen hervor. Er spiegelt die Barmherzigkeit Gottes gegenüber den Sündern wider, er hat aber auch Mitleid mit allem Leid und allen Bedürfnissen der Menschen: Er schreitet ein, um der Menge zu essen zu geben, die Kranken zu heilen, die Unterdrückten zu befreien. Von ihm sagt der Evangelist: „Er hat unsere Leiden auf sich genommen und unsere Krankheiten getragen“ (Mt 8,17).

In unserer Seligpreisung herrscht zweifellos der erste Sinn vor, jener der Vergebung und des Nachlasses der Sünden. Dies entnehmen wir der Korrespondenz zwischen der Seligpreisung und ihrem Lohn: „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“ wird unmittelbar danach mit dem Wort erklärt: „Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden“ (vgl. Lk 6,36-37).

Die Aufnahme, die Jesus den Sündern nach dem Evangelium vorbehält, und die Gegnerschaft, die sie ihm seitens der Verteidiger des Gesetzes einbrachte, die ihn anklagten, ein „Fresser und Säufer, ein Freund der Zöllner und Sünder“ (vgl. Lk 7,34) zu sein, ist bekannt. Einer der geschichtlich am besten bezeugten Aussprüche Jesu ist folgender: „Ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten“ (Mk 2,17). Da sie sich von ihm angenommen und nicht verurteilt fühlten, hörten ihm die Sünder gern zu.

Wer aber waren die Sünder, wer wurde so genannt? Der heute verbreiteten Tendenz folgend, die Pharisäer des Evangeliums gänzlich zu rechtfertigen und das negative Bild späteren Verzerrungen der Evangelisten zuzuschreiben, hat einmal jemand behauptet, dass mit diesem Begriff „die willentlichen und reuelosen Übertreter des Gesetzes“ (1) gemeint seien, mit anderen Worten: die gemeinen Verbrecher und die Gesetzlose der damaligen Zeit.

Wäre dem tatsächlich so, dann hätten die Gegner Jesu Recht gehabt, als sie sich entrüsteten und ihn für eine verantwortungslose und gefährliche Person hielten. Das wäre so, als würde sich heute ein Priester mit Mafiosi, Camorristi und generell mit Kriminellen einlassen und ihre Einladungen zum Essen annehmen – unter dem Vorwand, ihnen über Gott zu erzählen.

In Wirklichkeit liegen die Dinge nicht so: Die Pharisäer hatten ihre Sicht vom Gesetz und von dem, was ihm konform ist oder entgegensteht, und sie sahen alle als verdammt an, die sich ihrer Praxis nicht anglichen. Der Monolog des Pharisäers im Tempel ist ein klares Beispiel dafür (vgl. Lk 18,9-14). Derselben Logik folgend, sahen ihrerseits die Essener von Qumran die Pharisäer als ungerecht an, als Übertreter ihres eigenen Gesetzes. Das ist eine überall verbreitete Neigung eines sektiererischen Geistes, für den es auch heute noch Beispiele gibt.

Jesus leugnet nicht, dass es die Sünde und die Sünder gibt; er rechtfertigt nicht die Betrügereien des Zachäus oder den Ehebruch der Frau. Die Tatsache, dass er sie „krank“ nennt, beweist es. Diesbezüglich ist er strenger als seine Gegner. Während sie den Ehebruch verurteilen, verurteilt er auch die unreinen Sehnsüchte; während das Gesetz sagte: „Du sollst nicht töten!“, sagt er, dass man den Bruder nicht einmal hassen und beschimpfen darf. Den Sündern, die sich ihm nähern, sagt er: „Geht hin, und sündigt nicht mehr“. Er sagt nicht: „Geht hin, und macht weiter so wie bisher.“

Das, was Jesus verurteilt, ist, wenn einer von sich aus festlegen will, was die wahre Gerechtigkeit ist, und alle anderen als „Räuber, Ungerechte und Ehebrecher“ ansieht und ihnen dabei sogar die Möglichkeit abspricht, sich zu ändern. Die Weise, in der Lukas das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner einleitet, ist bezeichnend: „Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte Jesus dieses Beispiel“ (Lk 18,9). Jesus war mit denen, die die Sünder voller Verachtung verurteilten, strenger als mit den Sündern selbst.

2. Ein Gott, dem es gefällt, barmherzig zu sein

Jesus rechtfertigt sein Verhalten gegenüber den Sündern, indem er sagt, dass auch der himmlische Vater so handelt. Seine Gegner erinnert er an das Wort Gottes bei den Propheten: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Mt 9,13). Die Barmherzigkeit als Antwort auf die Untreue des Volkes, die hesed, ist das Kennzeichen des Bundesgottes, das am schärfsten hervorsticht und dass die Bibel von vorne bis hinten erfüllt. In einem Psalm wird sie in der Form einer Litanei bekräftigt und die Ereignisse der Geschichte Israels erklärt: „Denn ewig ist seine Barmherzigkeit“ (Ps 136).

Barmherzigsein erscheint so als ein wesentlicher Aspekt des „nach dem Ebenbild Gottes Sein“. „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“ ist eine Paraphrase des berühmten Satzes: „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig“ (Lev 19,2).

Was aber hinsichtlich der Barmherzigkeit Gottes am meisten überrascht, ist, dass er Freude empfindet, wenn er sich erbarmt. Jesus beschließt das Gleichnis vom verlorenen Schaf mit diesen Worten: „Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren“ (Lk 15,7). Die Frau, die die verlorene Drachme wieder gefunden hat, ruft zu ihren Freundinnen zu: „Freut euch mit mir!“ Im Gleichnis vom verlorenen Sohn sprudelt die Freude dann über und wird zum Fest, zum Mahl.

Es handelt sich nicht um ein isoliertes Thema, sondern um eines, das zutiefst in der Bibel verwurzelt ist. Bei Ezechiel sagt Gott: „Ich habe kein Gefallen am Tod des Schuldigen, sondern daran, dass er auf seinem Weg umkehrt und am Leben bleibt“ (Ez 33,11). Micha sagt, dass Gott „es liebt, gnädig zu sein“ (Mi 7,18), das heißt, dass es ihm gefällt, so zu sein.

Warum aber, so fragt man sich, soll ein Schaf genauso viel wiegen wie die verblieben zusammen, und warum soll gerade jenes verlorene etwas zählen, das die meisten Probleme bereitet hat? Eine überzeugende Erklärung habe ich im Dichter Charles Péguy gefunden. Dadurch, dass es sich verlaufen hat, brachte jenes Schaf wie der jüngere Sohn das Herz Gottes zum zittern. Gott fürchtete, es für immer zu verlieren, gezwungen zu sein, es zu verdammen und für immer auf es verzichten zu müssen. Diese Angst hat in Gott die Hoffung aufsteigen lassen, und die einmal verwirklichte Hoffnung hat die Freude und das Fest hervorgebracht. „Jede Reue des Menschen ist die Krönung der Hoffnung Gottes.“ (3) Das ist eine bildhafte Sprache, wie all unser Reden von Gott, aber sie enthält eine tiefe Wahrheit.

In uns Menschen ist die Bedingung, die die Hoffnung möglich macht, die Tatsache, dass wir die Zukunft nicht kennen und sie deshalb erhoffen; in Gott, der die Zukunft kennt, besteht die Bedingung darin, dass er nicht ohne unsere Zustimmung das verwirklichen will (und in einem gewissen Sinn nicht kann), was er will. Die Freiheit des Menschen erklärt das Dasein der Hoffnung in Gott.

Was soll man also zu den 99 aufmerksamen Schafen und zum älteren Sohn sagen? Gibt es im Himmel gar keine Freude über sie? Lohnt es sich, sein ganzes Leben als gute Christen zu leben? Erinnern wir uns daran, was der Vater dem älteren Sohn antwortet: „Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein“ (Lk 15,31). Der Irrtum des älteren Sohnes besteht darin, dass er sein Verbleiben im Haus und die Tatsache, dass er alles mit dem Vater geteilt hat, nicht als immenses Privileg ansieht, sondern als Verdienst; er benimmt sich mehr wie ein Söldner als wie ein Sohn (Das dürfte für uns alle, die wir uns aufgrund unseres Lebens die Position des älteren Sohnes eingenommen haben, eine Ermahnung sein).

In dieser Hinsicht war wie Wirklichkeit besser als das Gleichnis selbst: In der Realität blieb der ältere Sohn – der Erstgeborene des Vaters, das Wort – nicht im Haus des Vaters. Er ging in ein fernes Land, um den jüngeren Sohn zu suchen, das heißt die abgefallene Menschheit. Er war es, der ihn wieder nach Hause geführt hat, der ihm das neue Gewand besorgt und den Tisch gedeckt hat.

3. Unsere Barmherzigkeit, Ursache oder Wirkung der Barmherzigkeit Gottes?

Jesus sagt: „Selig die barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden“, und im Vaterunser beten wir: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Er sagt auch: „Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Mt 6,15). Diese Sätze könnten uns denken lassen, dass die Barmherzigkeit Gottes uns gegenüber von der Barmherzigkeit abhängen würde, die wir den anderen erweisen.

Wäre dem so, dann wäre die Beziehung zwischen Gnade und guten Werken völlig verkehrt, und man würde den Charakter der reinen Unentgeltlichkeit der göttlichen Barmherzigkeit zerstören, die von Gott feierlich vor Moses erklärt worden ist: „Ich gewähre Gnade, wem ich will, und ich schenke Erbarmen, wem ich will“ (Ex 33,19).

Das Gleichnis von den zwei Dienern (Mt 18,23ff.) ist der Schlüssel, um die Beziehung korrekt zu interpretieren. Dort sieht man, wie der Herr dem Diener als erster und ohne Bedingungen eine enorme Schuld erlässt (10.000 Talente!), und wie es gerade seine Großzügigkeit ist, die den Diener dazu hätte veranlassen sollen, mit dem Gnade walten zu lassen, der ihm die armselige Summe von 100 Denaren schuldete.

Wir müssen also barmherzig sein, weil wie Barmherzigkeit empfangen haben, nicht um Barmherzigkeit zu empfangen. Wir müssen aber barmherzig sein, andernfalls wird die göttliche Barmherzigkeit keine Wirkung haben und zurückgenommen werden, wie sie der Herr im Gleichnis dem erbarmungslosen Diener entzog. Die Gnade „kommt immer vorher“, und sie ist es, die verpflichtet: „Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ (Kol 3,13).

Wenn es in der Seligpreisung den Anschein hat, als ob die Barmherzigkeit Gottes uns gegenüber die Wirkung unserer Barmherzigkeit gegenüber den Brüdern wäre, so deshalb, weil sich Jesus hier in die Perspektive des letzten Gerichtes stellt („Sie werden Barmherzigkeit finden“, Zukunft!). „Denn das Gericht ist erbarmungslos gegen den, der kein Erbarmen gezeigt hat. Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht“ (Jak 2,13).

4. Die Barmherzigkeit Gottes erfahren

Wenn die göttliche Barmherzigkeit am Anfang von allem steht und wenn sie es ist, die die Barmherzigkeit der Menschen untereinander ermöglicht und erforderlich macht, dann ist es für uns die wichtigste Sache der Welt, immer wieder neu die Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes zu machen. Wir gehen auf das Osterfest zu, und das ist die österliche Erfahrung schlechthin.

Der Schriftsteller Franz Kafka hat einen Roman mit dem Titel „Der Prozess“ geschrieben. Es geht darin um einen Mann, der eines Tages, ohne dass irgendjemand den Grund verstehen könnte, für verhaftet erklärt wird, auch wenn er sein einsames Leben und die Arbeit eines bescheidenen Angestellten fortsetzt. Er beginnt, zermürbende Nachforschungen anzustellen, um die Gründe, das Gericht, die Punkte der Anklage, das Verfahren kennen zu lernen. Aber niemand sieht sich imstande, ihm mehr zu sagen als dass wirklich ein Prozess über ihn im Gang ist – bis sie eines Tages kommen und ihn festnehmen, um das Urteil zu vollstrecken.

Im Lauf der Geschichte erfährt man, dass es für diesen Mann drei Möglichkeiten gibt: die wirkliche Freisprechung, die scheinbare Freisprechung und die Verschleppung. Letztere beiden würden aber nichts an seiner Lage ändern; sie würden nur dazu dienen, den Angeklagten sein ganzes Leben lang in einer tödlichen Unsicherheit schweben zu lassen. Bei der wirklichen Freisprechung hingegen „sollen die Prozessakten vollständig abgelegt werden, sie verschwinden gänzlich aus dem Verfahren, nicht nur die Anklage, auch der Prozess und sogar der Freispruch sind vernichtet, alles ist vernichtet.“

Aber von dieser wirklichen, so sehr ersehnten Freisprechung weiß man nicht, ob es sie jemals gegeben hätte; es gibt nur Gerüchte von Absichten, die nichts anderes sind als „schöne Märchen“. Das Werk ändert so wie alle Werke dieses Autors: Man jagt etwas, das man aus weiter Ferne erahnt, keuchend und wie in einem nächtlichen Alptraum nach, ohne die Möglichkeit zu besitzen, es zu erlangen. (4)

Zu Ostern überbringt uns die Liturgie der Kirche die unglaubliche Nachricht, dass es die wirkliche Freisprechung tatsächlich gibt, dass sie nicht nur ein Märchen ist, etwas Wunderschönes, was aber unerreichbar wäre. Jesus hat „den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat“ (Kol 2,14). Er hat alles vernichtet. „Jetzt gibt es keine Verurteilung mehr für die, welche in Christus Jesus sind“, ruft der heilige Paulus aus (Röm 8,1). Keine Verurteilung! Ja, nicht einmal in der einen oder anderen Form – für die, die an Jesus Christus glauben!

In Jerusalem gab es einen wundertätigen Teich, und der erste, der darin badete, sobald das Wasser aufwallte, wurde geheilt (vgl. Joh 5,2 ff.). Die Realität ist aber sogar in diesem Fall unendlich reicher als das Symbol. Vom Kreuz Christi ist eine Quelle von Wasser und Blut hervorgesprudelt, und nicht nur einer, sondern alle, die sich darin baden, werden geheilt.

Dieses wundertätige Becken ist – nach der Taufe – das Sakrament der Versöhnung, und diese letzte Betrachtung soll gerade dazu dienen, sich auf eine gute Osterbeichte vorzubereiten, auf eine Beichte „außer der Reihe“, die sich also von der gewöhnlichen Beichte unterscheidet; auf eine Beichte, in der wir dem Heiligen Geist wirklich erlauben, uns von der Sünde „zu überzeugen“. Die Seligpreisungen, die wir in der Fastenzeit betrachtet haben, könnten wir in dieser Hinsicht als Spiegel benutzen.

„Selig, die ein reines Herz haben“: Herr, ich erkenne die ganze Unreinheit und die Heuchelei an, von denen mein Herz erfüllt ist; ja, vielleicht auch das Doppelleben, das ich vor dir und den anderen führe.

„Selig die Sanftmütigen“: Herr, ich bitte um Verzeihung für die Ungeduld und die Gewalt, die in mir schlummert; für die vorschnellen Urteile; für das Leid, das ich den Menschen, die mich umgeben, zugefügt habe…

„Selig die Hungernden“: Herr, verzeih mir meine Gleichgültigkeit gegenüber den Armen und Hungernden, meine beständige Suche nach Bequemlichkeit, meine Maßlosigkeit beim Trinken und Essen und meinen Anziehsachen, meinen bürgerlichen Lebensstil…

„Selig die Barmherzigen“: Herr, oft habe ich dich um dein Erbarmen angefleht und es auch empfangen, es aber auf die leichte Schulter genommen, ohne mir wirklich bewusst zu werden, welchen Preis du dafür hast bezahlen müssen! Kyrie eleison– Herr, erbarme dich! Oft war ich der Diener, dem vergeben wurde, der aber selbst nicht zu vergeben wusste: Kyrie eleison – Herr, erbarme dich!

Aus einer tiefen Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes geht man als neuer Mensch hervor, als Auferstandener: „Gott aber, der voll Erbarmen ist, hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht“ (Eph 2,4-5).

5. Eine Kirche, die „voll Erbarmen“ ist

In seiner Botschaft für die Fastenzeit dieses Jahres schreibt der Heilige Vater: „So werde die Fastenzeit für jeden Christen zur erneuten Erfahrung der Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus geschenkt worden ist – eine Liebe, die wir unsererseits dem Nächsten weiterschenken müssen“: auf der Ebene der kirchlichen Gemeinschaft genauso wie auf der persönlichen Ebene.

Als Kardinal Francesco Saverio Van Thuan im Jubiläumsjahr 2000 vom selben Tisch aus die geistlichen Exerzitien für die Römische Kurie predigte, erklärte er mit Bezug auf den Ritus der Öffnung der Heiligen Pforte in einer Meditation: „Ich träume von einer Kirche, die Heilige Pforte ist, offen, die alle aufnimmt, voller Mitleid und Verständnis für die Mühen und Leiden der Menschheit, ganz und gar darauf ausgerichtet, sie zu trösten.“ (5)

Die Kirche jenes Gottes, „der voll Erbarmen ist“ – dives in misericordia, kann ihrerseits nichts anderes sein als dives in misericordia. Von der Haltung Christi gegenüber den Sündern, die wir ausreichend analysiert haben, wollen wir einige Kriterien ableiten. Jesus banalisiert die Sünde nicht, sondern er findet eine Weise, die es ihm ermöglicht, sich nicht von den Sündern abzusondern, sondern sie vielmehr an sich zu ziehen. Er sieht in ihnen nicht nur das, was sie sind, sondern das, zu dem sie werden können, wenn sie in der Tiefe ihres Elends und ihrer Hoffnungslosigkeit von der göttlichen Barmherzigkeit überrascht werden.

Heute stimmen die Exegeten ziemlich überein in der Annahme, dass Christus dem mosaischen Gesetz nicht feindlich gesinnt war. Was ihn von der religiösen Elite seiner Tage unterschied, war eine gewisse starre und manchmal geradezu unmenschliche Art und Weise, das Gesetz auszulegen. „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat“, sagte Jesus (Mk 2,27). Und das, was er über die Sabbatruhe sagt, eines der heiligsten Gesetze in Israel, gilt auch für alle anderen Gesetze.

Jesus ist in den Prinzipien fest und entschieden, aber er weiß, wann ein Prinzip einem höheren Prinzip – jenem der Barmherzigkeit Gottes und des Heils des Menschen –Vorrang geben muss. Wie diese Kriterien des Handelns Christi konkret auf die neuen Probleme, die sich der Gesellschaft stellen, angewendet werden können, hängt von der sorgfältigen Untersuchung und im Letzten von der Entscheidung des Lehramtes ab. Auch im Leben der Kirche müssen – wie im Leben Jesu – sowohl die „Barmherzigkeit der Hände“ als auch die „Barmherzigkeit des Herzens“ erstrahlen, die Werke der Barmherzigkeit genauso wie das „Innerste der Barmherzigkeit“.

6. „Bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen“

Das letzte Wort zur heutigen Seligpreisung muss eines sein, das uns persönlich berührt und einen jeden von uns zur Umkehr und zu Praxis antreibt. Der heilige Paulus ermahnte die Kolosser mit folgenden Worten, die zu Herzen gehen:

„Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ (Kol 3,12-13).

„Wir Menschen sind“, so sagte der heilige Augustinus, „wie Gefäße aus Ton, die sich schon weh tun, wenn sie nur miteinander in Berührung kommen“ („lutea vasa quae faciunt invicem angustias“). (6) Man kann in der Familie oder in jeder anderen Form von Gemeinschaft nicht harmonisch miteinander leben, ohne gegenseitig Vergebung und Barmherzigkeit zu üben. Barmherzigkeit – „misericordia“ – ist ein Wort, dass sich aus „misereo“ und „cor“ zusammensetzt; es bedeutet, im eigenen Herzen Mitleid zu fühlen, sich rühren zu lassen angesichts des Leidens oder des Fehlers bei Bruder oder Schwester. Folgendermaßen bringt Gott seine Barmherzigkeit angesichts der Irrwege seines Volkes zum Ausdruck: „Mein Herz wendet sich gegen mich, mein Mitleid lodert auf“ (Hos 11,8).

Es handelt sich also darum, zu vergeben beziehungsweise immer, wenn es möglich ist, zu entschuldigen und nicht zu verurteilen. Wenn es um uns selbst geht, gilt das Sprichwort: „Wer sich vergibt, den klagt Gott an; wer sich anklagt, dem vergibt Gott.“ Wenn es aber um die anderen geht, gilt das Gegenteil: „Wer dem Bruder vergibt, dem vergibt Gott; wer den Bruder anklagt, den klagt Gott an.“

Die Vergebung ist für eine Gemeinschaft dasselbe wie das Öl für den Motor. Wenn man sich in ein Auto setzt, das keinen Tropfen Öl im Motor hat, dann wird nach wenigen Kilometern alles in Flammen aufgehe. Die Vergebung löst genauso wie das Öl den Reibungswiderstand. Es gibt einen Psalm, in dem die Freude besungen wird, als versöhnte Brüder miteinander vereint zu leben; ein solches Leben sei „wie köstliches Salböl, das vom Kopf hinabfließt auf den Bart, auf Aarons Bart, das auf sein Gewand hinabfließt“ (vgl. Ps 133,2).

Unser Aaron, unser Hohepriester, so hätten die Kirchenväter gesagt, ist Christus; die Barmherzigkeit und die Vergebung sind das Öl, das von diesem „Kopf“ ausgeht, der am Kreuz erhoben ist, und sich entlang des Leibes der Kirche bis zu den äußersten Enden ihrer Kleidung ausbreitet, bis zu denen, die am Rand der Kirche leben. Wo man so lebt, in der gegenseitigen Vergebung und Barmherzigkeit, „spendet der Herr Segen und Leben in Ewigkeit“.

Versuchen wir uns zu erkennen, wo es im Umgang mit den anderen Menschen notwendig ist, das Öl der Barmherzigkeit und der Versöhnung eindringen zu lassen, und vergießen wir es anlässlich des Osterfests leise und im Überfluss. Vereinen wir uns mit unseren orthodoxen Brüdern, die nicht müde werden, zu Ostern zu singen:

„Es ist der Tag der Auferstehung.
Lasst uns durchstrahlt werden
vom Jubel
und einander umarmen!
Lasst uns, ihr Brüder,
Bruder sagen auch zu denen,
die uns hassen!
Verzeihen wir uns alles
um der Auferstehung willen.“ (7)

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(1) Vgl. E.P. Sanders, „Jesus and Judaism“, London 1985, S. 385.
(2) Vgl. J.D.G. Dunn, „Gli albori del cristianesimo“, I, 2, Brescia 2006, S.567-572.
(3) Ch. Péguy, „Il portico del mistero della seconda virtù“, in „Oeuvres poétiques complètes“, Gallimard, Paris 1975, S. 571 ff.
(4) F. Kafka, „Der Prozess“, Fischer 1993, S. 136 ff.
(5) F.X. Van Thuan, „Hoffnung, die uns trägt“, Herder, Freiburg 2000, S.47.
(6) Augustinus, „Sermones“ 69, 1 (PL 38, 440).
(7) Stichirà di Pasqua, zitiert inb: G. GHARIB, „Le icone festive della Chiesa Ortodossa“, Mailand 1985, S. 174-182.

ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals

[Modificato da @Andrea M.@ 05/04/2007 7.23]

@Andrea M.@
00sabato 7 aprile 2007 17:27
Im Peteresdom in Anwesenheit des Papstes
„Ihr seid die Hoffnung für eine menschlichere Welt“: Der Prediger des Papstes würdigt den „Genius“ der Frau

Karfreitagsliturgie 2007 im Petersdom

ROM, 6. April 2007 (ZENIT.org).- „Christliche Frauen, fährt damit fort, den Nachfolgern der Apostel und uns Priestern, ihren Mitarbeitern, die frohe Botschaft zu bringen“, rief P. Raniero Cantalamessa, Prediger des Päpstlichen Hauses, am Karfreitag im Petersdom aus.

Der Kapuzinerpater, der bei der liturgischen Feier vom Leiden und Sterben Christi, der Papst Benedikt XVI. vorstand, die Predigt hielt, würdigte den „Genius“ der Frau, rief indirekt zur Ausräumung aller noch bestehenden Nachteil für sie in einer vom Mann beherrschten Welt auf, legte aber vor allem den Frauen von heute ans Herz, jene „frommen Frauen“ nachzuahmen, die aufgrund ihrer reinen Liebe unter dem Kreuz Christi bis zuletzt ausgeharrt hatten und schließlich zu den ersten Zeugen der Auferstehung wurden.

„Die Frauen waren Jesus um seinetwillen gefolgt …, nicht aus der Hoffnung heraus, einen Vorteil zu erlangen oder in seinem Gefolge Karriere zu machen“, erklärte der Prediger. „Ihnen wurden keine ‚zwölf Throne‘ verheißen, und sie hatten auch nicht darum gebeten, in seinem Reich zu seiner Rechten und zu seiner Linken zu sitzen. Sie folgten ihm, so steht geschrieben, ‚um ihm zu dienen‘; nach Maria, der Mutter, waren sie die einzigen, die den Geist des Evangeliums in sich aufgenommen hatten.“

Diese mutigen Frauen, die offen ihre Sympathie zu einem zu Tode Verurteilten bekundet hatten, seien ihren Herzen gefolgt, das sie nicht enttäuscht habe. Und gerade darin liegt nach P. Cantalamessa „eine lebendige Lehre für uns heute. Unsere von der Technik beherrschte Zivilisation bedarf eines Herzens, damit der Mensch in ihr überleben kann, ohne sich gänzlich zu entmenschlichen.“

Während der Mensch immer mehr Wissen anhäufe, bleibe seine Liebesfähigkeit mitunter auf der Strecke. Sie scheine beizeiten „nichts zu zählen, während wir sehr wohl wissen, dass das Glück oder das Unglück auf Erden nicht so sehr davon abhängt, ob man erkennt oder nicht erkennt, sondern vielmehr davon, ob man liebt oder nicht liebt, ob man geliebt wird oder nicht. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum wir so sehr darauf bedacht sind, unseren Wissensschatz anwachsen zu lassen, und so wenig darauf, unsere Liebesfähigkeit wachsen zu lassen: Die Erkenntnis wird automatisch zu Macht, die Liebe zum Dienst.“

Die „frommen Frauen“, die ihrem Herzen gefolgt waren, um Jesus zu dienen, zeigten uns heute: „Nur die Liebe erlöst und rettet, während die Wissenschaft und der Durst nach Erkenntnis alleine … zur Verdammung führen können.“ In diesem Zusammenhang erinnerte der Prediger an das Apostelwort aus dem ersten Korintherbrief: „Die Erkenntnis macht aufgeblasen, die Liebe dagegen baut auf.“

Am Ende seiner Predigt während der Karfreitagsliturgie rief der Ordenspriester dazu auf, den „frommen Frauen“ zu danken und ihrem Beispiel zu folgen.

„Erben der ‚frommen Frauen‘ sind die vielen Frauen – Ordensfrauen und Laien –, die heute an der Seite der Armen, der Aids-Kranken, der Gefangenen und all derer stehen, die auf die ein oder andere Weise von der Gesellschaft ausgestoßen sind. Ihnen – seien es nun Gläubige oder Ungläubige – wiederholt Christus: ‚Ihr habt es für mich getan‘.“
@Andrea M.@
00sabato 7 aprile 2007 17:29
Die Predigt im Wortlaut
Karfreitagsliturgie 2007 im Petersdom: Predigt von P. Raniero Cantalamessa

„Es gab da auch einige Frauen“

ROM, 6. April 2007 (ZENIT.org).- Wir veröffentlichen die Predigt, die der Prediger des Päpstlichen Hauses, P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., während der Karfreitagsliturgie im Petersdom gehalten hat.

Der Kapuzinerpater betrachtete die frommen Frauen, die unter dem Kreuz ausgeharrt hatten, und bekräftigte, dass sie nicht nur zu bewundern und zu ehren, sondern vor allem auch nachzuahmen seien. „Die Frauen waren die ersten, die den Auferstandenen sahen, weil sie die letzten waren, die ihn, als er schon tot war, verlassen haben und auch nach seinem Tode kamen, um Salböle zu seinem Grab zu bringen.“

* * *

P. Raniero Cantalamessa
„Es gab da auch einige Frauen“
Predigt am Karfreitag 2007
in der Basilika St. Peter



„Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala“ (Joh 19,25). Für dieses eine Mal lassen wir Maria, seine Mutter, beiseite. Ihre Gegenwart auf dem Kalvarienberg bedarf keiner Erklärungen. Sie war „seine Mutter“, und das allein erklärt alles: Die Mütter verlassen ihn Sohn nicht einmal dann, wenn er zum Tode verurteilt worden ist. Warum aber waren die anderen Frauen dort? Wer waren sie, und wie viele waren es?

Die Evangelien berichten die Namen einiger von ihnen: Maria Magdalena; Maria, die Mutter des Jakobus des Jüngeren von Koses; Salome, die Mutter der Söhne des Zebedäus; eine gewisse Johanna sowie eine gewissen Susanna (vgl. Lk 8,3). Diese Frauen waren zusammen mit Jesus aus Galiläa gekommen und waren ihm dann weinend auf seiner Reise zum Kalvarienberg gefolgt (vgl. Lk 23,27-28); jetzt, auf Golgotha, beobachteten sie „aus der Ferne“ (das heißt, aus der geringsten, ihnen erlaubten Distanz); und von dort werden sie ihn bald traurig zusammen mit Josef von Arimathäa zum Grab begleiten (Lk 23,55).

Diese Tatsache ist zu gesichert und zu außerordentlich, als dass man darüber schnell hinweggehen könnte. Wir nennen sie mit einer gewissen männlichen Herablassung „die frommen Frauen“. Sie sind aber viel mehr als „fromme Frauen“, ja sie sind ebenso „Mütter Courage“! Sie sind ein großes Risiko eingegangen; es bestand darin, dass sie so offen ihre Sympathie für einen zum Tode Verurteilten bekundeten. Jesus hatte gesagt „Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt“ (Lk 7,23). Diese Frauen sind die einzigen, die an ihm keinen Anstoß nehmen.

Seit einiger Zeit wird lebhaft darüber diskutiert, wer es war, der den Tod Jesu wollte: die jüdischen Anführer oder Pilatus. Eines ist auf jeden Fall gewiss: Es waren Männer und keine Frauen. Keine Frau hat mit dem Tod Jesu zu tun gehabt, nicht einmal indirekt. Selbst die einzige heidnische Frau, die in den Erzählungen erwähnt wird, die Frau des Pilatus, setzte sich von seiner Verurteilung ab (vgl. Mt 27,19). Sicher, Jesus starb auch für die Sünden der Frauen, aber unter einem historischen Gesichtspunkt können sie nur sagen: „Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen“ (Mt 27,24).

Das ist eines des sichersten Zeichen für die Aufrichtigkeit und die historische Glaubwürdigkeit der Evangelien: die armselige Figur, die in ihnen die Autoren der Evangelien und diejenigen machen, die sie inspiriert haben; und die wunderbare Figur, die in ihnen einigen Frauen zuteil wird. Wer hätte es zugelassen, dass die schmachvolle Geschichte der eigenen Angst, der Flucht, der Verleugnung zur ewigen Erinnerung aufbewahrt wird, was durch die so ganz andere Verhaltensweise einiger Frauen ja noch zusätzliches Gewicht erhält?! Wer hätte es erlaubt, wäre er nicht von dem Wunsch nach der getreuen Wiedergabe einer Geschichte, die unendlich größer erschien als die eigene Armseligkeit, dazu veranlasst worden?

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Man hat sich immer gefragt, warum es denn die „frommen Frauen“ seien, die den Auferstandenen als erste sehen und denen der Auftrag gegeben wird, es den Aposteln zu melden. Das war die sicherste Weise, um die Auferstehung wenig glaubwürdig zu machen. Das Zeugnis einer Frau hatte nicht das geringste Gewicht. Vielleicht ist deshalb keine Frau im vom heiligen Paulus verfassten Verzeichnis derjenigen genannt, die den Auferstandenen gesehen haben (vgl. 1 Kor 15,5-8). Die Apostel selbst fassten die Worte der Frauen in einem ersten Moment als ein typisch weibliches „Geschwätz“ auf und glaubten ihnen nicht (vgl. Lk 24,11).

Die alten Schriftsteller meinten, die Antwort auf diese Frage zu kennen. Romanus der Melode sagt, dass die Frauen die ersten sind, die den Auferstandenen sehen, weil eine Frau, Eva, die erste war, die gesündigt hatte! [1] Die echte Antwort aber ist eine andere: Die Frauen waren die ersten, die den Auferstandenen sahen, weil sie die letzten waren, die ihn, als er schon tot war, verlassen haben und auch nach seinem Tode kamen, um Salböle zu seinem Grab zu bringen (vgl. Mk 16,1).

Wir müssen uns nach dem Warum dieser Tatsache fragen. Warum haben die Frauen dem Skandal des Kreuzes widerstanden? Warum sind sie bei ihm geblieben, als alles zu Ende zu sein schien und auch seine nächsten Jünger ihn verlassen hatten und heimlich ihre Rückkehr nach Hause organisierten?

Die Antwort hat uns Jesus im Vorhinein gegeben, als er Simon antwortete und von der Sünderin, die ihm die Füße gewaschen und geküsst hatte, sagte: „Sie hat so viel Liebe gezeigt!“ (Lk 7,47).

Die Frauen waren Jesus um seinetwillen gefolgt, aus Dankbarkeit für das Gute, das sie von ihm empfangen hatten, nicht aus der Hoffnung heraus, einen Vorteil zu erlangen oder in seinem Gefolge Karriere zu machen. Ihnen wurden keine „zwölf Throne“ verheißen, und sie hatten auch nicht darum gebeten, in seinem Reich zu seiner Rechten und zu seiner Linken zu sitzen. Sie folgten ihm, so steht geschrieben, „um ihm zu dienen“ (Lk 8,3; Mt 27,55); nach Maria, der Mutter, waren sie die einzigen, die den Geist des Evangeliums in sich aufgenommen hatten. Sie waren den „Gründen des Herzens“ gefolgt und diese hatten sie nicht getäuscht.

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Darin enthält ihre Gegenwart neben dem Gekreuzigten und dem Auferstandenen eine lebendige Lehre für uns heute. Unsere von der Technik beherrschte Zivilisation bedarf eines Herzens, damit der Mensch in ihr überleben kann, ohne sich gänzlich zu entmenschlichen. Wir müssen den „Gründen des Herzens“ mehr Raum geben, wenn wir vermeiden wollen, dass die Menschheit in eine Eiszeit zurückfällt.

In diesem Sinn nützt uns – im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen – die Technik wenig. Seit langem wird an einem Computer gearbeitet, der „denkt“, und viele sind davon überzeugt, dass es dazu kommen wird. Aber – zum Glück! – hat noch niemand die Möglichkeit eines Computers in Aussicht gestellt, der „liebt“, der gerührt ist, der dem Menschen auf der Gefühlsebene entgegenkommt, indem er ihm die Liebe so leicht macht, wie er die Berechnung der Distanzen zwischen den Gestirnen, der Bewegung der Atome, der Speicherung von Daten erleichtert…

Mit der Potenzierung der Intelligenz und der Erkenntnismöglichkeiten des Menschen hält die Potenzierung seiner Liebesfähigkeit nicht Schritt. Letztere scheint im Gegenteil nichts zu zählen, während wir sehr wohl wissen, dass das Glück oder das Unglück auf Erden nicht so sehr davon abhängt, ob man erkennt oder nicht erkennt, sondern vielmehr davon, ob man liebt oder nicht liebt, ob man geliebt wird oder nicht. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum wir so sehr darauf bedacht sind, unseren Wissensschatz anwachsen zu lassen, und so wenig darauf, unsere Liebesfähigkeit wachsen zu lassen: Die Erkenntnis wird automatisch zu Macht, die Liebe zum Dienst.

Einer der modernen Götzendienste besteht in der Vergötterung des IQ, des Intelligenzquotienten. Zahlreiche Messmethoden sind entwickelt worden, auch wenn sie sich bisher zum größten Teil als unverlässlich erwiesen haben. Wer kümmert sich darum, auch dem „Quotienten des Herzens“ Rechnung zu tragen? Nur die Liebe erlöst und rettet, während die Wissenschaft und der Durst nach Erkenntnis alleine Faust und seine Nachahmer zur Verdammung führen können. Das ist das Fazit von Goethes Faust, und es ist auch der vom Regisseur lancierte Schrei, der symbolisch die wertvollen Werke einer ganzen Bibliothek auf dem Boden annagelt und dem Protagonisten sagen lässt, dass „alle Bücher der Welt eine Liebkosung nicht aufwiegen“. [2] Noch vor ihnen allen hatte der heilige Paulus geschrieben: „Die Erkenntnis macht aufgeblasen, die Liebe dagegen baut auf“ (1 Kor 8,1).

Nach so vielen Zeitaltern, die ihre Namen vom Mann bekommen haben – homo erectus, homo faber, bis hin zum homo sapiens-sapiens –, ist es zu wünschen, dass sich für die Menschheit endlich ein Zeitalter der Frau eröffnet: ein Zeitalter des Herzens, des Mitleids, des Friedens; und dass diese Erde aufhört, „das Beet zu sein, das uns so wild macht“ [3].

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Von überall her kommt das Bedürfnis zum Vorschein, der Frau in der Gesellschaft und in den Religionen mehr Raum zu geben. Wir glauben nicht, dass „das ewig Weibliche uns retten wird“ [4]. Die alltägliche Erfahrung zeigt uns, dass die Frau uns „nach oben bringen kann“, dass sie uns aber auch in die Tiefe fallen lassen kann. Auch sie bedarf der Rettung durch Christus. Es ist aber gewiss, dass die Frau, wenn sie einmal von Christus erlöst und auf einer menschlichen Ebene von alten Diskriminierungen „befreit“ ist, einen Beitrag zur Rettung unserer Gesellschaft vor einigen großen Übeln leisten kann, die sie bedrohen: Grausamkeit, Wille zur Macht, geistliche Leere, Verachtung des Lebens…

Man muss es nur vermeiden, den antiken gnostischen Irrtum zu wiederholen, nach dem die Frau, um sich zu retten, aufhören muss, Frau zu sein, und sich in einen Mann verwandeln muss [5]. Das Vorurteil ist so tief in unserer Gesellschaft verwurzelt, dass sogar die Frauen ihm schließlich erlegen sind. Um ihre Würde zu behaupten, haben sie manchmal geglaubt, dass es notwendig wäre, den Unterschied zwischen den Geschlechtern zu minimieren oder zu verleugnen, indem sie ihn auf ein kulturelles Produkt reduziert haben. „Als Frau wird man nicht geboren, Frau wird man“, wie eine ihrer berühmten Vertreterinnen sagte [6].

Wie dankbar müssen wir doch den „frommen Frauen“ sein! Entlang der Reise zum Kalvarienberg war ihr Schluchzen der einzige freundschaftliche Laut, der an die Ohren des Heilands drang. Und während er am Kreuz hing, waren ihre „Blicke“ die einzigen, die sich mit Liebe und Mitleid auf ihn richteten.

Die byzantinische Liturgie ehrte die frommen Frauen, indem sie ihnen einen Sonntag des liturgischen Jahres widmete, den zweiten nach Ostern, der „Sonntag der Myrrhophores“ heißt: der Sonntag derer, die die Salböle bringen. Jesus hat Gefallen daran, dass die Frauen, die ihn geliebt und an ihn geglaubt haben, als er am Leben war, in der Kirche geehrt werden. Über eine von ihnen – die Frau, die eine Vase mit duftenden Ölen auf sein Haupt ausgoss – machte er die außerordentliche Prophezeiung, die sich dann über die Jahrhunderte hinweg bewahrheitet hat: „Überall auf der Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat“ (Mt 26,13).

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Die frommen Frauen sind jedoch nicht nur zu bewundern und zu ehren, sie sind auch nachzuahmen. Der heilige Leo der Große sagt, dass „sich das Leiden Christi bis zum Ende der Zeiten hinstreckt“ [7], und Pascal hat geschrieben, dass „Christus bis zum Ende der Welt in Agonie liegt“ [8].

Die Passion verlängert sich in den Gliedern des Leibes Christi. Erben der „frommen Frauen“ sind die vielen Frauen – Ordensfrauen und Laien –, die heute an der Seite der Armen, der Aids-Kranken, der Gefangenen und all derer stehen, die auf die ein oder andere Weise von der Gesellschaft ausgestoßen sind. Ihnen – seien es nun Gläubige oder Ungläubige – wiederholt Christus: „Ihr habt es für mich getan“ (vgl. Mt 25,40).

Nicht nur wegen der Rolle, die sie während der Passion spielten, sondern auch wegen jener bei der Auferstehung sind die frommen Frauen ein Vorbild für die Frauen von heute. In der Bibel findet man überall ein „Geh!“ oder ein „Geht!“, also Sendungen durch Gott. Es ist dies das Wort, das Gott an Moses richtet („Geh, Moses, in das Land Ägypten“), an die Propheten, an die Apostel: „Geht hinaus in alle Welt, und predigt das Evangelium allen Geschöpfen.“

All diese „Geht!“ sind an Männer gerichtet. Es gibt nur ein einziges „Geht!“, das an Frauen gerichtet ist: jener Aufruf, der an diejenigen ergeht, die am Ostermorgen das Salböl bringen: „Geht, und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen, und dort werden sie mich sehen“ (Mt 28,10). Mit diesen Worten machte er sie zu den ersten Zeugen der Auferstehung, „Meisterinnen der Meister“, wie sie ein antiker Autor nennt [9].

Es ist sehr schade, dass es dazu gekommen ist, dass Maria Magdalena aufgrund der falschen Gleichsetzung mit der Sünderin, die Jesus die Füße wäscht (vgl. Lk 7,37), nicht enden wollende antike und moderne Legenden genährt hat und in Kult und Kunst fast ausschließlich als „Büßerin“ eingegangen ist anstatt als erste Zeugin der Auferstehung, „apostola apostolorum“, wie sie der heilige Thomas von Aquin nennt [10].

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„Sogleich verließen sie das Grab und eilten voll Furcht und großer Freude zu seinen Jüngern, um ihnen die Botschaft zu verkünden“ (Mt 28,8).Christliche Frauen, fährt damit fort, den Nachfolgern der Apostel und uns Priestern, ihren Mitarbeitern, die frohe Botschaft zu bringen: „Der Meister lebt! Er ist auferstanden! Er geht euch nach Galiläa voran, das heißt überall dorthin, wohin ihr geht!“ Singt weiter das alte Lied, das die Liturgie der Maria Magdalena in den Mund legt: Mors et vita duello conflixere mirando: dux vitae mortuus regnat vivus - „Leben und Tod sind einander in einem wunderbaren Duell entgegengetreten: Der Herr des Lebens war tot, jetzt aber lebt und herrscht er.“ Das Leben hat in Christus über den Tod triumphiert, und so wird es eines Tages auch in uns sein. Zusammen mit allen Frauen guten Willens seid Ihr die Hoffnung für eine menschlichere Welt.

Der ersten unter den „frommen Frauen“ und deren unvergleichbares Vorbild, der Mutter Jesu, wiederholen wir mit einem alten Gebet der Kirche: „Heilige Maria, hilf den Armseligen, stütze die Kleinmütigen, stärke die Schwachen. Bitte für das Volk, trete für den Klerus ein, lege Fürsprache ein für das fromme weibliche Geschlecht“: Ora pro populo, interveni pro clero, intercede pro devoto femineo sexu [11].

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[1] Romanus der Melode, Hymnen, 45, 6 (G. Gharib (Hg.), Edizioni Paoline 1981, S. 406)
[2] Im Film „Cento chiodi“ von Ermanno Olmi.
[3] Dante Alighieri, Paradies, 22, v.151.
[4] W. Goethe, Faust, Schluss Teil II.
[5] Vgl. Koptisches Thomasevangelium114; Auszüge aus Theodotus, 21,3.
[6] Simone de Beauvoir, Le Deuxième Sexe (1949).
[7] Leo der Große , Sermo 70, 5 (PL 54, 383).
[8] B. Pascal, Penseés, Nr. 553 Br.
[9] Gregorius von Antiochia, Predigt über die Myrrhophores, 11 (PG 88, 1864 B).
[10] Thomas von Aquin, Kommentar zum Johannesevangelium, XX, 2519.
[11] Antiphon zum Magnificat

ZENIT-Übersetzung des italienischen vom Autor zur Verfügung gestellten Originals

[Modificato da @Andrea M.@ 07/04/2007 17.30]

@Andrea M.@
00giovedì 19 aprile 2007 21:59
Predigt zum Ostersonntag 2007
Er ist auferstanden!

Ostersonntag
C - 2007-04-08

Apg 10,34.37-43; Kol 3,1-4; Joh 20,1-9.

Es gibt Menschen – wir sehen es am Phänomen der Kamikaze-Terroristen –, die für ein falsches oder gar unrechtes Anliegen sterben, weil sie zu Unrecht, aber guten Glaubens meinen, dass es gut wäre. Auch der Tod Christi an sich gibt noch kein Zeugnis von der Wahrheit seines Anliegens, sondern nur von der Tatsache, dass er an dessen Wahrheit glaubte.

Der Tod Christi ist das höchste Zeugnis seiner Liebe, nicht aber seiner Wahrheit. Die Wahrheit wird auf angemessene Weise erst von seiner Auferstehung bezeugt. „Der Glaube der Christen“ – so sagt der heilige Augustinus – „ist die Auferstehung Christi. Es ist nichts Besonderes, daran zu glauben, dass Jesus gestorben ist; daran glauben auch die Heiden und alle anderen. Wahrhaft groß aber ist es zu glauben, dass er auferstanden ist.“

Wir wollen uns aber an das Ziel halten, das uns bis hierhin geleitet hat, und sind somit gezwungen, den Glauben einen Augenblick beiseite zu lassen, um uns der Geschichte zuzuwenden. Wir möchten versuchen, eine Antwort auf folgende Frage zu geben: Ist es möglich, die Auferstehung Christi allgemein als ein historisches Ereignis zu bestimmen, also als ein wirkliches Geschehen, oder nicht?

Was sich der Betrachtung des Historikers anbietet und was ihm erlaubt, von der Auferstehung zu sprechen, sind zwei Tatsachen: erstens der plötzliche und unerklärbare Glaube der Jünger – ein Glaube, der so beharrlich ist, so dass er sogar das Martyrium eingeht; und zweitens die Erklärung, die uns die Betroffenen, das heißt die Jünger, über diesen Glauben hinterlassen haben. Im entscheidenden Augenblick, als Jesus gefangen genommen und hingerichtet wurde, nährten die Jünger nicht die geringste Erwartung einer Auferstehung; sie flohen und hielten den Fall Jesus für verloren.

Es musste also etwas geschehen sein, was in kurzer Zeit nicht nur eine radikale Veränderung ihres Gemütszustands hervorrief, sondern sie auch zu einer völlig neuen Tätigkeit und zur Gründung der Kirche veranlasste. Dieses „Etwas“ ist der historische Kern des Osterglaubens.

Das älteste Zeugnis für die Auferstehung ist das des Paulus. Es lautet so: „Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln. Als Letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der ‚Missgeburt‘“ (1 Kor 15,3-8). Das Jahr, in dem diese Worte aufgeschrieben wurden, ist das Jahr 56 oder 57.

Der Kerninhalt dieser Zeilen ist allerdings schon in einem älteren Glaubensbekenntnis enthalten, von dem der heilige Paulus sagt, dass er es von anderen empfangen habe. Berücksichtigt man, dass Paulus diese Formulierungen nach seiner Bekehrung gehört hat, so können wir sie ungefähr auf das Jahr 35 datieren, das heißt sechs Jahre nach dem Tod Christi. Es handelt sich also um ein Zeugnis von seltenem historischen Wert.

Die Berichte der Evangelisten wurden einige Jahrzehnte später geschrieben und spiegeln eine weitere Phase der Reflexion der Kirche wieder. Der zentrale Kern des Zeugnisses bleibt jedoch unverändert: Der Herr ist auferstanden und als Lebender erschienen. Dazu gesellt sich ein neues Element, das vielleicht auf ein apologetisches Anliegen zurückgeht und deshalb von geringerem historischen Wert ist: das Beharren auf der Tatsache des leeren Grabes. Auch für die Evangelien bleiben die Erscheinungen des Auferstandenen die entscheidende Tatsache.

Die Erscheinungen bezeugen aber auch eine neue Dimension des Auferstandenen, die Art und Weise, „nach dem Geist“ zu sein, der im Hinblick auf die vorhergehende Welt („nach dem Fleisch“) neu und anders ist. Der Auferstandene kann beispielsweise nicht von jedermann erkannt werden, der ihn sieht, sondern nur von dem, dem er sich selbst zu erkennen gibt. Seine Leiblichkeit ist anderer Art als die Leiblichkeit vor der Auferstehung. Der Auferstandene untersteht nicht mehr den physikalischen Gesetzen: Er tritt bei geschlossener Tür ein, er erscheint und verschwindet.

Eine andere Erklärung für die Auferstehung, die von Rudolf Bultmann vorgebracht wurde und die nach wie vor von einigen Theologen vertreten wird, ist die, dass es sich um „psychogene Visionen“ gehandelt hätte, das heißt: um subjektive Phänomene in der Art von Halluzinationen. Wäre dem so, so würde dieses aber am Ende ein nicht weniger großes Wunder darstellen als das, dessen Zulassung hätte vermieden werden sollen. Es setzt dies nämlich voraus, dass verschiedene Personen in verschiedenen Situationen und an unterschiedlichen Orten alle denselben Eindruck oder dieselbe Halluzination gehabt hätten.

Die Jünger konnten sich nicht täuschen: Sie waren ganz konkrete Leute, Fischer und alles andere als Menschen, die zu Visionen neigen. Zunächst glauben sie nicht, und Jesus muss gleichsam ihren Widerstand brechen: „Was seid ihr doch schwerfällig im Glauben!“ Und die Jünger konnten auch nicht die anderen täuschen wollen. All ihre Interessen widersprachen einem solchen Vorhaben; sie wären die ersten gewesen, die sich von Jesus betrogen gefühlt hätten. Wäre er nicht auferstanden – aus welchem Grund sollten sie die Verfolgung und den Tod für ihn auf sich nehmen? Welchen materiellen Vorteil hätten sie davon gehabt?

Wenn man den historischen, das heißt den objektiven und nicht nur den subjektiven Charakter der Auferstehung leugnet, wird die Entstehung der Kirche und des Glaubens zu einem unerklärlicheren Geheimnis, als es die Auferstehung selbst ist. Er wurde richtig bemerkt: „Die Idee, dass das wichtige Gebäude der Geschichte des Christentums wie eine enorme Pyramide sei, die auf einer unbedeutenden Tatsache in Schwebe steht, ist gewiss weniger glaubwürdig als die Aussage, dass das ganze Ereignis – das heißt die bedeutendste, ihm innewohnende Tatsache – wirklich einen Platz in der Geschichte eingenommen hat, der mit dem vergleichbar ist, den ihm das Neue Testament zuschreibt.“

Was ist das Ergebnis, zu dem die historische Forschung hinsichtlich der Auferstehung kommt? Wir können es den Worte der Emmausjünger entnehmen: Einige Jünger gingen am Ostermorgen zum Grab Jesu und fanden, dass die Dinge so standen, wie die Frauen, die vor ihnen hingegangen waren, es berichtet hatten – „aber ihn haben sie nicht gesehen“. Auch die Geschichte nähert sich dem Grab Jesu und muss feststellen, dass die Angelegenheit tatsächlich so ist, wie es die Zeugen gesagt haben. Ihn aber, den Auferstandenen, sieht sie nicht. Es reicht nicht, historische Feststellungen zu treffen; man muss den Auferstandenen sehen, und das kann die Geschichte nicht bewirken, sondern nur der Glaube.

Der Engel erschien den Frauen am Ostermorgen und sagte zu ihnen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Lk 24,5). Ich gestehe euch, dass ich diesen Tadel am Ende unserer Überlegungen vernehme so vernehme, als wäre er direkt an mich gerichtet; als sagte der Engel zu mir: „Warum hältst du dich damit auf, unter den Toten menschliche Argumente der Geschichte zu suchen für den, der lebt und in der Kirche und in der Welt wirkt? Geh lieber, und sag deinen Brüdern, dass er auferstanden ist!“

Hinge es von mir ab, so würde ich nur das tun wollen. Ich habe vor 30 Jahren meine Lehrtätigkeit als Professor für Geschichte der christlichen Ursprünge aufgegeben, um mich der Verkündigung des Reiches Gottes zu widmen. Aber in diesen letzten Jahren, angesichts der radikalen und unbegründeten Verleugnungen der Wahrheit des Evangeliums, habe ich mich dazu verpflichtet gefühlt, das alte Handwerk wieder aufzunehmen. Daher die Entscheidung, diese Kommentare zu den Sonntagsevangelien dazu zu nutzen, um einem oft von kommerziellen Interessen suggerierten Trend entgegenzuwirken und denen, die sie zufällig lesen, die Möglichkeit zu geben, sich über Jesus eine Meinung zu bilden, die weniger vom Lärm der Werbung beeinflusst ist.

[ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals]
@Andrea M.@
00venerdì 27 aprile 2007 23:09
Die Worte Cantalamessas zum dritten Sonntag in der Osterzeit
„Liebst du mich?“: P. Raniero Cantalamessa über die Liebe, die Jesus von seinen Jüngern erwartet

Kommentar zum Evangelium des dritten Sonntags in der Osterzeit (Lesejahr C)

ROM, 20. April 2007 (ZENIT.org).- Das Christentum ist keine Ansammlung von Lehren und Praktiken, sondern eine innige Freundschaftsbeziehung mit Jesus. Dies hebt P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., Prediger des Päpstlichen Hauses, in seinem Kommentar zum kommenden dritten Sonntag der Osterzeit hervor (Apg 5, 27b–32.40b–41; Offb 5, 11–14; Joh 21,1–19). Dem Verfehlen des Menschen setzt Gott eine unendliche Zahl von Möglichkeiten entgegen, sich mit Gott und dem Nächsten neu zu versöhnen. Denn Jesus will, so der Hofprediger, dass die Liebe zu ihm zum Dienst am Nächsten wird.

* * *

Liebst du mich?

Liest man das Johannesevangelium, so versteht man, dass es ursprünglich mit dem 20. Kapitel endete. Wenn dieses neue 21. Kapitel hinzugefügt wurde, so geschah das, weil der Evangelist selbst oder einer seiner Schüler das Bedürfnis verspürte, noch einmal die Wirklichkeit der Auferstehung Christi hervorzuheben. Das ist nämlich die Lehre, die diesem Abschnitt des Evangeliums zu entnehmen ist: dass Jesus nicht „sozusagen“ auferstanden ist, sondern dass er wirklich, in seinem wahren Leib auferstanden ist. „Wir haben mit ihm gegessen und getrunken nach seiner Auferstehung von den Toten“, wird Petrus in der Apostelgeschichte sagen, wobei er sich wahrscheinlich gerade auf diese Episode bezieht (Apg 10,4).

Der Szene, in der Jesus mit den Aposteln gerösteten Fisch isst, folgt der Dialog zwischen Jesus und Petrus. Drei Fragen: „Liebst du mich?“; drei Antworten: „Tu weißt, dass ich dich liebe“; drei Schlussfolgerungen: „Weide meine Schafe!“. Mit diesen Worten verleiht Jesus dem Petrus de facto – und nach der katholischen Lesart seinen Nachfolgern – die Aufgabe des höchsten und universalen Hirten der Herde Christi. Er verleiht ihm jenen Primat, den er ihm versprochen hatte, als er sagte: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben“ (Mt 16,18-19).

Was am meisten in diesem Abschnitt des Evangeliums berührt, ist, dass Jesus seinem dem Petrus gemachten Versprechen treu bleibt, obwohl Petrus dem Jesus gemachten Versprechen, ihn nie zu verraten, selbst wenn das sein Leben kosten sollte (vgl. Mt 26,35), untreu gewesen ist (Die dreifache Frage Jesu erklärt sich aus dem Wunsch, dem Petrus die Möglichkeit zu geben, seine dreifache Verleugnung während der Passion zu tilgen).

Gott gibt den Menschen immer eine zweite Möglichkeit; sogar eine dritte, eine vierte – ja, unendlich viele Möglichkeiten. Er streicht die Menschen nicht nach ihrem ersten Fehler aus seinem Buch.

Was geschieht dann? Das Vertrauen und die Vergebung des Meisters haben aus Petrus einen neuen, starken, bis zum Tod treuen Menschen gemacht. Er hat die Herde Christi in den schwierigen Momenten ihrer Anfänge geweidet, als es notwendig war, aus Galiläa hinauszugehen auf die Straßen der Welt. Petrus wird imstande sein, endlich sein Versprechen einzuhalten, sein Leben für Christus hinzugeben. Wenn wir die im Handeln Christi mit Petrus enthaltene Lehre beherzigten und jemandem Vertrauen schenkten, nachdem dieser einen Fehler gemacht hat – wie viel weniger misslungene und an den Rand gedrängte Menschen gäbe es auf der Welt!

Der Dialog zwischen Jesus und Petrus ist auf das Leben eines jeden von uns zu übertragen. Der heilige Augustinus sagt in seinem Kommentar zu diesem Abschnitt des Evangeliums: „Indem er Petrus fragte, fragte Jesus einen jeden von uns.“

Die Frage: „Liebst du mich?“ ist an jeden Jünger gerichtet. Das Christentum ist keine Ansammlung von Lehren und Praktiken; es ist etwas viel Innigeres und Tieferes: eine Freundschaftsbeziehung mit der Person Jesu Christi.

Oft hat Jesus die Menschen zu Lebzeiten gefragt: „Glaubst du?“, nie aber: „Liebst du mich?“. Er tut es nur jetzt, nachdem er in seinem Leiden und Sterben den Beweis erbracht hat, wie sehr er uns liebt.

Jesus will, dass die Liebe zu ihm im Dienst an den anderen besteht: „Liebst du mich? Weide meine Schafe.“ Nicht er will die Früchte dieser Liebe erhalten, sondern er will, dass es seine Schafe seien. Er ist der Adressat der Liebe Petri, nicht aber der Nutznießer. Es ist, als sagte er dem Petrus: „Ich betrachte das, was du für meine Herde tust, als tätest du es für mich“.

Auch unsere Liebe zu Christus darf keine rein innerliche oder sentimentale Angelegenheit bleiben, sondern sie muss im Dienst an den anderen zum Ausdruck kommen, im Tun des Guten am Nächsten. Mutter Teresa von Kalkutta sagte oft: „Die Frucht der Liebe ist der Dienst, und die Frucht des Dienstes ist der Friede.“

[ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals]

[Modificato da @Andrea M.@ 27/04/2007 23.10]

@Andrea M.@
00venerdì 27 aprile 2007 23:10
Der vierte Sonntag der österlichen Zeit
P. Raniero Cantalamessa: Jesus, der gute Hirte

Kommentar zum Evangelium des vierten Sonntags der Osterzeit (Lesejahr C)

ROM, 27. April 2007 (ZENIT.org).- Der gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe. Christus ist der gute Hirt der Menschheit, der bei den Menschen wohnt und sie liebt. Dies hebt P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., Prediger des Päpstlichen Hauses, in seinem Kommentar zum kommenden vierten Sonntag der Osterzeit hervor (Apg 13,14.43b-52; Offb 7,9-17; Joh 10,27-30). Jesus kenne seine Jünger, und er nenne sie bei ihrem jeweiligen Namen. Für ihn selbst gebe es allerdings nur den einen: Er liebt jeden von uns. Für jeden von uns hat er sein Leben hingegeben.

* * *

„Ich bin der gute Hirt“

In allen drei Lesejahren legt der vierte Ostersonntag einen Abschnitt des Johannesevangeliums über den guten Hirten vor. Nachdem uns das Evangelium am vergangenen Sonntag unter die Fischer geführt hat, führt es uns jetzt unter die Hirten – zwei Kategorien, die in den Evangelien dieselbe Wichtigkeit genießen: Von der einen kommt der Titel „Menschenfischer“, der den Aposteln gegeben wurde, von der anderen der Titel „Hirten der Seelen“.

Judäa war zum Großteil eine Hochebene mit schroffem und steinigem Terrain, das sich mehr für die Hirtentätigkeit als für die Landwirtschaft eignete. Das Gras war spärlich, und die Herde musste ständig von einem Platz zum anderen überwechseln. Es gab keine Schutzmauern, und so war die ständige Anwesenheit des Hirten unter der Herde erforderlich. Ein Reisender des letzten Jahrhunderts hat uns ein Bild des Hirten im Palästina der damaligen Zeit hinterlassen: „Wenn man ihn auf einer Weide sieht – schlaflos, mit dem Blick, der in der Ferne Ausschau hält, immer achtsam auf die Bewegungen der Herde –, so versteht man, warum der Hirte in der Geschichte Israels eine so große Bedeutung erhalten hat, dass sie diesen Titel ihren Königen gegeben haben, und warum Christus ihn als Emblem des Opfers seiner selbst angenommen hat.“

Im Alten Testament wird Gott selbst als Hirte seines Volkes dargestellt. „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen“ (Ps 23,1). „Denn er ist unser Gott, wir sind das Volk seiner Weide, die Herde, von seiner Hand geführt“ (Ps 95,7). Auch der künftige Messias wird mit dem Bild des Hirten beschrieben: „Wie ein Hirt führt er seine Herde zur Weide, er sammelt sie mit starker Hand. Die Lämmer trägt er auf dem Arm, die Mutterschafe führt er behutsam“ (Jes 40,11). Dieses vollkommene Bild des Hirten findet seine volle Verwirklichung in Christus. Er ist der gute Hirte, der sich auf die Suche nach dem verlorenen Schaf macht; er hat mit dem Volk Mitleid, weil er in ihm „Schafe ohne Hirten“ erkennt (vgl. Mt 9,36); er nennt seine Jünger „die kleine Herde“ (Lk 12,32). Petrus bezeichnet Jesus als „den Hirten unserer Seelen“ (1 Petr 2,25), und im Brief an die Hebräer ist vom„großen Hirten der Schafe“ die Rede (vgl. Heb 13,20).

Von Jesus als dem guten Hirten hebt der Abschnitt des Evangeliums von diesem Sonntag einige Charakteristiken hervor. Die erste betrifft die gegenseitige Kenntnis von Herde und Hirt: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir.“ In bestimmten Nationen Europas werden die Schafe in erster Linie wegen ihres Fleisches gezüchtet; in Israel werden die Schafe aber vor allem wegen ihrer Wolle und ihrer Milch gezüchtet. Sie blieben deshalb jahrelang in der Gesellschaft des Hirten, der schließlich den Charakter jedes einzelnen Schafes kannte und es mit einem Kosenamen rief.

Es ist klar, dass Jesus genau das mit diesen Bildern sagen will. Er kennt seine Jünger (und als Gott alle Menschen). Er kennt sie „beim Namen“, was für die Bibel heißt: in ihrem innersten Wesen. Er liebt sie mit einer persönlichen Liebe, die einen jeden so erreicht, als wäre er der einzige, der vor ihm steht. Christus kann nur bis eins zählen – und dieses „Eins“ ist ein jeder von uns!

Der Abschnitt aus dem Evangelium sagt uns noch etwas über den guten Hirten. Er „gibt sein Leben hin für die Schafe, und keiner wird sie ihm entführen können“. Der Alptraum der Hirten Israels waren die wilden Tiere – Wölfe und Hyänen – und die Briganten. In isolierten Gegenden stellten sie eine ständige Bedrohung. Das war der Moment, in dem der Unterschied zwischen dem wahren Hirten und dem bezahlten Hirten auftauchte: zwischen dem, der die Schafe der Familie weidet und der zum Hirten berufen ist, und jenem, der nur um des Geldes wegen den Hirtendienst übernimmt und die Schafe aber nicht liebt, sondern vielmehr hasst. Der Söldner flieht vor der Gefahr und überlässt die Schafe dem Wolf oder dem Briganten; der wahre Hirt hingegen tritt der Gefahr mutig entgegen, um die Herde zu retten. Dies erklärt, warum die Liturgie uns das Evangelium vom guten Hirten in der Osterzeit vorschlägt: Ostern war der Augenblick, in dem Christus gezeigt hat, dass er der gute Hirte ist, der das Leben für seine Schafe gibt.

[ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals]
@Andrea M.@
00venerdì 11 maggio 2007 22:26
Das Evangelium zum fünften Sonntag der Osterzeit
„Liebt einander!“ P. Raniero Cantalamessa erklärt das Neue am „neuen Gebot“

Kommentar zu den Lesungen des fünften Sonntags der Osterzeit (Lesejahr C)

ROM, 4. Mai 2007 (ZENIT.org).- Jesus versetzt jeden Menschen durch seinen Kreuzestod und die Gabe des Heiligen Geistes in die Lage, wahrhaft zu lieben wie Gott selbst. Deshalb sei das „neue Gebot“ der Nächstenliebe, das der Herr den Seinen gibt, auch tatsächlich neu, erläutert P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., Prediger des Päpstlichen Hauses, anhand der Lesungen des kommenden Sonntags (Apg 14,21b-27; Offb 21,1-5a; Joh 13,31-33a).

* * *

Ein neues Gebot

Es gibt ein Wort, das in den Lesungen des heutigen Sonntags mehrmals vorkommt: Es wird von einem „neuen Himmel und einer neuen Erde“ gesprochen, vom „neuen Jerusalem“; von Gott, der „alles neu“ macht, und schließlich – im Evangelium – vom „neuen Gebot“. „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“

Die Worte „neu“ und „Neuheit“ gehören zur begrenzten Zahl von „magischen“ Worten, die immer an etwas ausschließlich Positives denken lassen: Nagelneu, brandneu, ein neues Gewand, ein neues Leben, ein neuer Tag, ein neues Jahr. Das Neue ist eine Nachricht wert. All das sind Synonyme. „Neu“ als Adjektiv bedeutet etwas Neues, und als Substantiv ist es eine Nachricht. Das Evangelium heißt „Frohe Botschaft“, gerade weil es die Neuheit schlechthin enthält.

Warum gefällt uns das Neue so sehr? Nicht nur, weil das Neue, das Ungebrauchte (zum Beispiel ein Auto) im Allgemeinen besser funktioniert. Wenn nur das der Grund wäre, warum würden wir dann mit solch großer Freude das neue Jahr, den neuen Tag willkommen heißen? Der tiefe Grund dafür ist, dass die Neuheit – das, was noch nicht bekannt ist, noch nicht erfahren wurde – der Erwartung, der Überraschung, der Hoffnung, dem Traum mehr Raum lässt. Und das Glück ist gerade Kind dieser Dinge. Wären wir uns sicher, dass das neue Jahr für uns genau dieselben Dinge bereit hält wie das alte, nicht mehr und nicht weniger, so würde es uns schon nicht mehr gefallen.

„Neu“ ist nicht das Gegenteil von „antik“, sondern von „alt“. Auch „antik“, „Antike“ und „antiquarisch“ sind positiv besetzte Worte. Worin besteht der Unterschied? „Alt“ ist das, was im Lauf der Zeit schlechter wird und an Wert verliert, während „antik“ das ist, was im Laufe der Zeit besser wird und an Wert gewinnt.

Nach diesen einleitenden Worten wollen wir uns dem Evangelium zuwenden. Es stellt sich sofort die Frage: Warum wird ein Gebot, das schon im Alten Testament bekannt war (vgl. Lev 19,18), als „neu“ bezeichnet? Zur Antwort kann uns die Unterscheidung von „alt“ und „antik“ nützlich sein. „Neu“ steht in diesem Fall nicht im Gegensatz zu „antik“, sondern zu „alt“. Der Evangelist Johannes schreibt an einer anderen Stelle: „Liebe Brüder, ich schreibe euch kein neues Gebot, sondern ein altes Gebot…Und doch schreibe ich euch ein neues Gebot“ (1 Joh 2, 7-8). Ist es denn nun ein neues Gebot, oder ein altes? Beides zusammen. „Alt“ ist es dem Buchstaben nach, weil es vor langer Zeit gegeben worden ist, und „neu“ ist es im Geiste, weil nur mit Christus auch die Kraft gegeben ist, es tatsächlich zu verwirklichen. „Neu“ steht hier nicht, wie ich sagte, im Widerspruch zu „antik“, sondern zu „alt“. Das Gebot, den Nächsten zu lieben „wie sich selbst“, war ein „altes Gebot“ geworden, das heißt ein schwaches und abgenutztes, da es immer überschritten wurde, insofern das Gesetz die Pflicht der Liebe auferlegte, aber nicht die Kraft vermittelte, sie zu erfüllen.

Dazu bedurfte es der Gnade. Und tatsächlich: An sich wird das Gebot der Liebe nicht dadurch zu einem neuen Gebot, weil es Jesus während seines irdischen Lebens so sagte, sondern weil er uns durch seinen Kreuzestod und die Gabe des Heiligen Geistes befähigt, einander zu lieben – indem er in uns die Liebe eingießt, die er selbst für einen jeden empfindet.

Das Gebot Jesu ist ein neues Gebot in einem aktiven und dynamischen Sinn: Es „erneuert“, es macht neu, es verwandelt alles. „Und diese Liebe, die erneuert, macht die Menschen neu; sie macht uns zu Erben des Neuen Testaments, zu Sängern des neuen Liedes“ (Heiliger Augustinus). Könnte die Liebe sprechen, würde sie sich die Worte zu Eigen machen, die Gott in der heutigen zweiten Lesung spricht: „Seht, ich mache alles neu.“

[ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals]
@Andrea M.@
00venerdì 11 maggio 2007 22:27
Zum sechsten Sonntag der Osterzeit
P. Raniero Cantalamessa über den Frieden Christi

Kommentar zu den Lesungen des sechsten Sonntags der Osterzeit (Lesejahr C)

ROM, 11. Mai 2007 (ZENIT.org).- Der Friede, den Jesus Christus bringt, liegt nach Worten von P. Raniero Cantalamessa OFM Cap. nicht in der Abwesenheit von Kriegen, Konflikten und Schwierigkeiten. In seinem Kommentar zum kommenden Sonntag (Apg 15,1–2.22–29; Offb 21,10–14.22–23; Joh 14,23–29) zeigt er, dass dieser Friede darin besteht, an Gott zu glauben und seinen Willen zu tun.

* * *

Meinen Frieden gebe ich euch

„Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch.“ Von welchem Frieden spricht Jesus in diesem Abschnitt des Evangeliums? Nicht vom äußeren Frieden, der in der Abwesenheit von Kriegen und Konflikten zwischen Menschen oder verschiedenen Ländern besteht. Bei anderen Gelegenheiten spricht Jesus auch von diesem Frieden. Zum Beispiel, wenn er sagt: „Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ Hier spricht Jesus von einem anderen Frieden, jenem inneren Frieden, dem Frieden des Herzens, dem Frieden des Menschen mit sich selbst und mit Gott. Man versteht das aus dem heraus, was Jesus sofort danach anfügt: „Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“ Das ist der fundamentale Friede, ohne den es keinen anderen Frieden geben kann. Milliarden von Tropfen schmutzigen Wassers schaffen kein sauberes Meer, und Milliarden von unruhigen Herzen schaffen keine Menschheit, die in Frieden lebt.

Das von Jesus gebrauchte Wort ist „shalom“. Mit ihm grüßten sich die Juden und tun dies immer noch. Mit diesem Wort begrüßte Jesus die Jünger am Paschaabend, und er ordnet an, dass auf diese Weise die Menschen gegrüßt werden sollten: „Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: Friede diesem Haus!“ (Lk 10,5-6).

Wir müssen bei der Bibel anfangen, wenn wir den Sinn des Friedens verstehen wollen, den Christus schenkt. In der Bibel bedeutet „shalom“ mehr als die bloße Abwesenheit von Kriegen und Unruheherden. Es zeigt positiv Wohlstand, Ruhe, Sicherheit, Erfolg, Ruhm an. Die Heilige Schrift spricht sogar vom „Frieden Gottes“ (Phil 4,7) und vom „Gott des Friedens“ (Röm 15,32). Friede bedeutet also nicht nur das, was Gott „gibt“, sondern auch das, was Gott „ist“. In einem Hymnus nennt die Kirche die Dreifaltigkeit „Meer des Friedens“.

Das sagt uns, dass jener Friede des Herzens, den wir alle ersehnen, ohne Gott oder außerhalb von ihm niemals vollkommen oder dauerhaft sein kann. Dante Alighieri fasste das alles in jenem Vers zusammen, den einige für den schönsten der ganzen „Göttlichen Komödie“ halten: „E 'n la sua volontate è nostra Pace“ („In seinem Willen liegt unser Frieden“).

Jesus lässt uns begreifen, was sich diesem Frieden widersetzt: die Verzagtheit, die ängstliche Unruhe, die Furcht: „Euer Herz beunruhige sich nicht.“ „Das ist leicht gesagt!“, wird dem jemand entgegenhalten. Wie soll die ängstliche Unruhe, die Nervosität, die uns alle verzehrt und uns daran hindert, ein wenig Frieden zu genießen, verbannt werden? Einige sind aufgrund ihres Temperaments anfälliger für solche Dinge. Ist da eine Gefahr, so machen sie sie noch gefährlicher, und ist da eine Schwierigkeit, so verkomplizieren sie sie hundertfach. Alles wird zum Anlass für ängstliche Unruhe.

Das Evangelium verspricht kein Allheilmittel für diese Übel; in einem gewissen Sinn sind sie Teil unseres Menschseins, da wir ja Kräften und Bedrohungen ausgesetzt sind, die so viel größer sind als wir. Ein Gegenmittel wird aufzeigt: Das Kapitel, dem der Abschnitt des heutigen Evangeliums entnommen ist, beginnt folgendermaßen: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott, und glaubt an mich!“ (Joh 14,1). Das Heilmittel ist das Vertrauen auf Gott.

Nach dem letzten Krieg wurde ein Buch mit dem Titel „Letzte Briefe aus Stalingrad“ veröffentlicht. Es handelte sich um Briefe von deutschen Soldaten, die im Kessel von Stalingrad gefangen waren; Briefe, die mit dem letzten Konvoi vor dem Endangriff des russischen Heeres abgesendet worden waren, in dem alle starben. In einem dieser nach Kriegsende aufgefundenen Briefe schreibt ein junger Soldat seinen Eltern: „Ich habe keine Angst vor dem Tod. Mein Glaube gibt mir diese schöne Sicherheit!“

Jetzt wissen wir, was wir uns gegenseitig wünschen, wenn wir uns die Hand reichen und uns in der Heiligen Messe ein Zeichen des Friedens geben. Wir wünschen einander Wohlergehen, Gesundheit, gute Beziehungen mit Gott, mit uns selbst und mit dem Nächsten. Wir wünschen einander somit, dass wir das Herz voll des „Friedens Christi haben, der jede Vernunft übersteigt“.

[ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals]
ingaH
00domenica 20 maggio 2007 20:10
P. Raniero Cantalamessa: Jesus will durch die Gläubigen sichtbar werden
Kommentar zur zum Hochfest Christi Himmelfahrt

ROM, 18. Mai 2007 (ZENIT.org).- Der Prediger des päpstlichen Hauses, P. Raniero Cantalmessa OFM Cap., ruft in seinem Kommentar zum Hochfest Christi Himmelfahrt (Apg 1,1-11; Eph 1,17-23; Lk 24,46-53) dazu auf, Jesus Christus durch eine entsprechende Lebensführung sichtbar zu machen.

Das große Fest, das in manchen Ländern erst am kommenden Sonntag begangen wird, veranlasst den Kapuzinerpater zudem zum Hinweis, dass Christus auch nach seiner Himmelfahrt unter uns gegenwärtig bleibt.

* * *


Ihr werdet meine Zeugen sein

Wenn wir nicht wollen, dass Christi Himmelfahrt eher einem traurigen Abschied ähnelt denn einem wahren Fest, ist es notwendig, den radikalen Unterschied zwischen dem Verschwinden und einer Abreise zu verstehen.

Mit der Himmelfahrt ist Jesus nicht abgereist: Er ist „nicht weggegangen“, sondern er ist nur dem Blick entschwunden. Wer abreist, ist nicht mehr da. Wer verschwindet, kann noch da sein, ja sogar in nächster Nähe, nur dass es da etwas gibt, was verhindert, ihn zu sehen. Ja, im Augenblick der Himmelfahrt entschwindet Jesus dem Blick der Apostel, aber nur, um auf eine andere, innige Weise gegenwärtig zu sein: nicht außerhalb von ihren, sondern in ihnen. Es geschieht etwas Ähnliches wie bei der Eucharistie: Solange die Hostie nicht in uns ist, sehen wir sie und beten sie an. Wenn wir sie empfangen, sehen wir sie aber nicht länger: Sie ist verschwunden – um jetzt in uns zu sein. Eine neue und stärkere Gegenwart hat begonnen…

Es erhebt sich aber ein Einspruch: Wenn Jesus nicht mehr sichtbar ist, wie sollen die Menschen dann um diese seine Gegenwart wissen? Die Antwort ist: Er will durch seine Jünger sichtbar sein! Lukas verknüpft die Himmelfahrt sowohl in seinem Evangelium als auch in der Apostelgeschichte eng mit dem Thema des Zeugnisses: „Ihr seid Zeugen dafür“ (Lk 24,48). Dieses „Ihr“ meint in erster Linie die Apostel, die mit Jesus zusammen gewesen sind. Nach den Aposteln geht dieses sozusagen „offizielle“, mit dem Amt verbundene Zeugnis auf ihre Nachfolger über, auf Bischöfe und Priester. Aber dieses „Ihr“ betrifft auch alle Getauften und Christgläubigen. „Jeder Laie muss vor der Welt Zeuge der Auferstehung und des Lebens Jesu, unseres Herrn, und ein Zeichen des lebendigen Gottes sein“, heißt es in „Lumen gentium“ (38).

Das Wort Pauls VI. ist berühmt geworden: „Die Welt braucht mehr Zeugen denn Lehrer.“ Es ist relativ leicht, ein Lehrer zu sein. Bedeutend schwerer ist es, Zeuge zu sein. In der Tat, die Welt ist voller Lehrer, die falsch oder wahr sein mögen, es mangelt ihr aber an Zeugen. Zwischen den beiden Rollen besteht, wie ein Sprichwort besagt, derselbe Unterschied wie zwischen Reden und Tun … Die Fakten, so ein englisches Sprichwort, sind „lauter“ als die Worte.

Der Zeuge ist einer, der mit dem Leben spricht. Ein gläubiger Vater oder eine gläubige Mutter müssen für ihre Kinder „die ersten Zeugen des Glaubens“ sein. Das fordert die Kirche von ihnen in der Segnung, die dem Ritus der Eheschließung folgt. Ein konkretes Beispiel: In dieser Jahreszeit feiern viele Kinder die Erstkommunion oder werden gefirmt. Eine gläubige Mutter oder ein gläubiger Vater können dem Kind helfen, den Katechismus zu wiederholen und auswendig zu lernen, ihm den Sinn dieser Worte erschließen. Sie tun dann etwas sehr Schönes, und es wäre nicht schlecht, wenn es viele täten! Was aber soll das Kind denken, wenn es die Eltern nach all dem, was sie anlässlich der Erstkommunion gesagt und getan haben, systematisch versäumen, in die Sonntagsmesse zu gehen, wenn sie sich nicht einmal bekreuzigen und nie ein Gebet sprechen? Sie waren Lehrer, aber keine Zeugen.

Das Zeugnis der Eltern darf sich natürlich nicht auf die Zeit der Erstkommunion oder der Firmung der Kinder beschränken. Mit ihrer Art, das Kind zu korrigieren und ihm zu vergeben – sich gegenseitig zu vergeben – und voller Respekt über die Abwesenden sprechen; mit ihrem Verhalten gegenüber einem Bedürftigen, der um Almosen bittet; mit Bemerkungen, die sie in Anwesenheit des Kindes über die Nachrichten des Tages machen – mit all dem haben die Eltern jeden Tag die Möglichkeit, Zeugnis von ihrem Glauben abzulegen. Die Seele der Kinder ist wie ein unbelichteter Film: Alles, was sie in den Jahren der Kindheit sehen und hören, prägt sich ein und wird sich eines Tages „entwickeln“ und Fürchte bringen – gute oder auch schlechte.

[ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals]
@Andrea M.@
00sabato 23 giugno 2007 23:08
Kommentar zu Pfingsten 2007
P. Raniero Cantalamessa: Das machtvolle Wirken des Schöpfergeistes
Kommentar zum Pfingstsonntags 2007 (Lesejahr C)


ROM, 25. Mai 2007 (ZENIT.org).- Das "schöpferische Wirken Gottes" beschränkt sich nicht nur auf den Augenblick der Entstehung der Welt, sondern es erstreckt sich auf alle Zeiten und jeden Ort. Das betont der Prediger des päpstlichen Hauses, P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., in seinem Kommentar zu den Lesungen des bevorstehenden Pfingstsonntags (Apg 2,1-11; Kor 12,3b-7.12-13; Joh 20,19-23). Auch wenn man es nicht immer bemerke, sei der Heilige Geist immer am Werk.

* * *

Sende deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen

Das Evangelium zum Pfingstsonntag stellt uns Jesus vor Augen, der die Jünger am Osterabend im Abendmahlssaal anhauchte und zu ihnen sprach: Empfangt den Heiligen Geist!" Dieses Anhauchen Christi erinnert an die Geste Gottes, der während der Schöpfung "auf den Menschen blies, der aus Erde vom Ackerboden geformt war" (vgl. Gen 2,7). Mit dieser Geste sagt uns Jesus also, dass der Heilige Geist jener göttliche Hauch ist, der der neuen Schöpfung Leben schenkt, so wie er es bei der ersten Schöpfung getan hatte. Der Antwortpsalm hebt dieses Thema hervor: "Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde."

Zu verkünden, dass der Heilige Geist Schöpfer ist, heißt, dass sich sein Handlungsspielraum nicht nur auf die Kirche beschränkt, sondern dass er sich auf die ganze Schöpfung ausdehnt. Es gibt weder Zeit noch Ort, wenn beziehungsweise wo er nicht gegenwärtig wäre. Er wirkt in der Bibel und außerhalb von ihr; er wirkte in der Zeit vor Christus, zu Lebzeiten Christi und in der Zeit nach Christus - wenn auch nie getrennt von ihm. "Jede Wahrheit, von wem sie auch immer ausgesagt wird" - so schreibt Thomas von Aquin - "stammt vom Heiligen Geist". Sicher, der Geist Christi wirkt außerhalb der Kirche anders als in der Kirche und in den Sakramenten. Dort wirkt er durch die "Macht", hier durch die "Gegenwart", persönlich.

Das Wichtigste hinsichtlich der schöpferischen Macht des Heiligen Geistes aber ist nicht, sie zu verstehen oder ihre Implikationen zu erklären, sondern: sie zu erfahren. Und was versteht man darunter, die Erfahrung der Heiligen Geistes als Schöpfer zu machen? Um das zu verstehen, wollen wir vom Schöpfungsbericht ausgehen. "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser" (Gen 1,1-2). Aus diesen Worten leiten wir ab, dass das Universum in dem Augenblick, als der Geist wirksam wird, bereits existierte, dass es aber noch formlos war und finster: Chaos. In Folge seines Wirkens geschieht es dann, dass die Schöpfung genaue Formen annimmt: Das Licht trennt sich von der Finsternis, das Land vom Meer und alles nimmt eine bestimmte Gestalt an.

Der Heilige Geist ist also der, der die Schöpfung vom Chaos zum Kosmos übergehen lässt, der aus ihr etwas Schönes, Geordnetes, Sauberes macht ("Kosmos" stammt von derselben Wurzel wie "Kosmetik" und will besagen: "schön"!). Der Heilige Geist macht aus der Schöpfung eine "Welt", und zwar entsprechend der zweifachen Bedeutung dieses Wortes. Die Wissenschaft lehrt uns heute, dass dieser Prozess Milliarden Jahre dauerte. Was uns aber die Heilige Schrift mit ihrer einfachen und bildhaften Sprache sagen will, ist, dass die langsame Evolution hin zum Leben und zur jetzigen Weltordnung nicht zufällig zustande gekommen ist, indem blinden Impulsen der Materie gehorcht wurde, sondern durch einen Plan, den der Schöpfer von Anfang an in sie hineingelegt hat.

Das schöpferische Wirken Gottes beschränkt sich nicht auf den Anfang; er schöpft immerfort. Wendet man dies auf den Heiligen Geist an, so bedeutet das, dass er immer derjenige ist, der das Chaos zum Kosmos werden lässt, die Unordnung zur Ordnung, die Konfusion zur Harmonie, die Missgestalt zur Schönheit, das Alter zur Jugend, und zwar auf allen Ebenen: im Makrokosmos genauso wie im Mikrokosmos, im ganzen Universum wie in jedem einzelnen Menschen.

Wir müssen daran glauben, dass der Heilige Geist trotz allem gegenteiligen Anzeichen in der Welt wirkt und sie fortschreiten lässt. Wie viele neue Entdeckungen gibt es doch  nicht nur im Bereich der Natur, sondern auch im ethischen und sozialen Bereich! Ein Text des Zweiten Vatikanischen Konzils besagt, dass der Heilige Geist in der Evolution der sozialen Ordnung der Welt wirksam ist ("Gaudium et spes", 26). Nicht nur das Böse wächst, sondern auch das Gute. Aber der Unterschied liegt darin, dass das Böse ausgelöscht wird und selbst zugrunde geht, während sich das Gute immer mehr vermehrt und bestehen bleibt. Gewiss, es gibt noch viel Chaos um uns herum: moralisches, politisches, soziales Chaos. Die Welt bedarf noch sehr des Geistes Gottes, deshalb dürfen wir nicht müde werden, ihn mit den Worten des Psalms anzurufen: "Sende aus deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu!"
@Andrea M.@
00sabato 23 giugno 2007 23:12
Zum Dreifaltigkeitssonntag 2007
Die Familie, "irdisches Spiegelbild der Trinität": P. Raniero Cantalamessa zum Dreifaltigkeitssonntag

ROM , 1. Juni 2007 (ZENIT.org).- Der Predigter des päpstlichen Hauses, P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., nimmt die Lesungen des bevorstehenden Dreifaltigkeitssonntags im Lesejahr C (Spr 8,22-31; Röm 5,1-5; Joh 16,12-15) zum Anlass, um über das Wesen Gottes nachzudenken, das Vorbild jeder Familie und des Miteinanders aller Menschen ist.

* * *

Gleich und verschieden

Die Evangeliumsstelle zum Dreifaltigkeitssonntag ist den Abschiedsreden Jesu entnommen und handelt von drei geheimnisvollen Gestalten, die im Hintergrund wirken und unentwirrbar miteinander vereint sind. "Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen& Alles, was der Vater hat, ist mein." Im Nachdenken über diese und andere Texte desselben Tenors ist die Kirche zum Glauben an den einen und dreifaltigen Gott gelangt.

Viele sagen: Aber was ist denn das für ein Rätsel von dreien, die eins sind, und von einem, der drei ist? Wäre es nicht leichter, an einen einzigen Gott zu glauben, wie es die Juden und die Muslime tun? Die Antwort ist einfach: Die Kirche glaubt an die Dreifaltigkeit, und zwar nicht, weil es ihr gefällt, die Dinge zu verkomplizieren, sondern weil ihr diese Wahrheit von Christus geoffenbart worden ist. Die Schwierigkeit, das Geheimnis der Dreifaltigkeit zu verstehen, ist ein Argument zu Gunsten und nicht gegen seine Wahrheit. Kein Mensch, der für sich alleine gelassen wird, hätte sich jemals ein solches Geheimnis ausdenken können.

Nachdem uns dieses Geheimnis geoffenbart worden ist, spüren wir, dass Gott - wenn es ihn gibt - nicht anders sein kann als einer und dreifaltig zur selben Zeit. Nur zwischen zwei oder mehreren Personen kann es Liebe geben; wenn also Gott Liebe ist, so muss in ihm einer sein, der liebt, und einer, der geliebt ist, sowie die Liebe, die sie eint. Die Christen sind Monotheisten; sie glauben an einen Gott, der einzig ist, aber nicht einsam. Wer würde Gott lieben, wenn er absolut allein wäre? Er sich selbst? Dann aber wäre seine Liebe keine Liebe, sondern Egoismus oder Narzismus.

Ich möchte nun die großartige und wunderbare Lehre für das Leben ansprechen, die sich aus der Dreifaltigkeit heraus für uns ergibt. Dieses Geheimnis ist die höchste Bestätigung dafür, dass man gleich und verschieden sein kann: gleich an Würde und verschieden hinsichtlich der Eigenschaften. Und ist das nicht das, was zu lernen wir am meisten bedürfen, um gut in dieser Welt zu leben? Das heißt: dass man verschieden sein kann in Hautfarbe, Kultur, Geschlecht, Rasse und Religion, und dennoch als Mensch dieselbe Würde genießen kann?

Diese Lehre findet seinen ersten und natürlichsten Anwendungsbereich in der Familie. Die Familie sollte ein irdisches Spiegelbild der Trinität sein. Sie ist aus Personen gebildet, die in Geschlecht (Mann und Frau) und Alter (Eltern und Kinder) verschieden sind, mit allen Folgen, die diese Verschiedenheit mit sich bringt: unterschiedliche Gefühle, unterschiedliche Neigungen und Geschmäcker. Der Erfolg einer Ehe und einer Familie hängt davon ab, inwiefern es diese Verschiedenheit versteht, zu einer höheren Einheit zu streben: Einheit der Liebe, der Absichten, der Zusammenarbeit.

Es ist nicht wahr, das ein Mann und eine Frau zwangsläufig ähnlich in ihrem Temperament und ihrer Begabung sein müssen; dass sie, um sich zu verstehen, entweder beide heiter, lebhaft, extrovertiert und instinktiv, oder aber beide introvertiert, ruhig und nachdenklich sein müssen. Wir wissen im Gegenteil, welche negativen Folgen sich schon auf physischer Ebene aus Ehen unter Verwandten ergeben können, innerhalb eines engen Kreises. Weder Ehemann und Ehefrau müssen die "bessere Hälfte" des anderen sein im Sinne von zwei Hälften, die vollkommen gleich wären, wie ein in zwei Hälften geteilter Apfel; sie sollten vielmehr die fehlende Hälfte des anderen und die Ergänzung des anderen sein. Das beabsichtigte Gott also, als er sagte: "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht" (Gen 2,18). All das setzt die Anstrengung voraus, die Verschiedenheit des anderen zu akzeptieren, was für uns das Schwierigste ist und was nur den Reifsten gelingt.

Wir erkennen daraus auch, wie falsch es ist, die Dreifaltigkeit als ein lebensfernes Geheimnis zu betrachten, das der Spekulation der Theologen überlassen werden kann. Im Gegenteil, sie ist ein uns extrem nahes Geheimnis. Der Grund dafür ist sehr einfach: Wir sind nach dem Bild des einen und dreifaltigen Gottes geschaffen; wir tragen seinen Stempel und sind dazu berufen, dieselbe sublime Synthese von Einheit und Verschiedenheit zu verwirklichen.

[ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals]
@Andrea M.@
00sabato 23 giugno 2007 23:15
Fronleichnam 2007
Die Eucharistie, Leben spendendes Gedächtnis: P. Raniero Cantalamessa zu Fronleichnam

"Sie ist Gedächtnis und Gegenwart in einem"

ROM, 6. Juni 2007 (ZENIT.org).- Der Prediger des Päpstlichen Hauses, P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., nimmt die Lesungen zum Hochfest des Leibes und Blutes Christi im Lesejahr C (Gen 14,18-20; 1 Kor 11,23-26; Lk 9,11b-17) zum Anlass, um über die Eucharistie als Gedächtnis des Ereignisses nachzudenken, dem die ganze Menschheit ihre Existenz als erlöste Menschheit verdankt. Eucharistie ist Gedächtnis und Gegenwart in einem.

* * *

Tut dies zu meinem Gedächtnis!

In der zweiten Lesung zu diesem Festtag legt uns der heiligen Paulus den ältesten Bericht vor, den es über die Einsetzung der Eucharistie gibt: Er wurde nicht mehr als ungefähr 20 Jahre nach dem Ereignis geschrieben. Versuchen wir, etwas Neues über das Geheimnis der Eucharistie zu erfahren, indem wir uns ein Wort aus dem Einsetzungsbericht vor Augen führen: "Tut dies zu meinem Gedächtnis."

Das "Gedächtnis" ist eines der geheimnisvollsten und großartigsten Fähigkeiten des menschlichen Geistes. Alle Dinge, die von der ersten Kindheit an gesehen, gehört, gedacht und getan worden sind, werden in diesem immensen Schoß aufbewahrt, stets darauf vorbereitet, durch eine Anregung von außen oder durch die eigene Willenskraft wieder neu in den Vordergrund zu treten. Ohne Gedächtnis würden wir aufhören, wir selbst zu sein; wir würden unsere Identität verlieren. Wer an einer umfassenden Amnesie leidet, irrt verloren durch die Straßen und weiß weder, wie er heißt noch wo er wohnt.

Wenn die Erinnerung wieder ins Bewusstsein vorrückt, hat sie die Macht, unsere ganze innere Welt in Beschlag zu nehmen  vor allem dann, wenn es sich um einen lebenden Menschen handelt und nicht um einen Gegenstand oder eine Tatsache. Wenn sich eine Mutter an ihr Kind erinnert, das sie vor wenigen Tagen zur Welt gebracht und zu Hause gelassen hat, drängt alles in ihr hin zu diesem Kind; dieser Drang der zärtlichen Liebe kommt aus dem innersten Wesen der Mutter und veranlasst sie möglicherweise dazu, Tränen zu vergießen.

Nicht nur der einzelne Mensch verfügt über ein Gedächtnis, sondern auch die Gruppe: Familie, Sippe, Stamm, Nation. Der Reichtum eines Volkes misst sich nicht so sehr an seinen Goldreserven, die es in den Tresoren verwahrt, sondern vielmehr am Gedächtnis, das es in seinem kollektiven Bewusstsein bewahrt. Gerade das gemeinsame Teilen derselben Erinnerungen ist es, was die Einheit einer Gruppe zu stärken vermag. Und damit diese Erinnerungen lebendig bleiben, werden sie mit bestimmten Orten und Festtagen in Verbindung gebracht. Die Amerikaner kennen den "Memorial Day", jenen Tag also, an dem sie der Gefallenen aller Kriege gedenken. Bei den Indern gibt es das "Gandhi Memorial", einen Park in Neu-Delhi, der die ganze Nation daran erinnern soll, was Gandhi für die indische Bevölkerung geleistet hat und wer er ist. Auch Italien hat seine Gedenkstätten, staatlichen Feiertage erinnern an die bedeutendsten Ereignisse unserer jüngsten Geschichte und Straßen, Plätze und Flughäfen sind unseren berühmtesten Persönlichkeiten gewidmet.

Der reichhaltige menschliche Hintergrund des Gedächtnisses sollte uns helfen, besser zu verstehen, was die Eucharistie für das christliche Volk ist. Sie ist ein Gedächtnis, da sie des Ereignisses gedenkt, dem nunmehr die ganze Menschheit ihre Existenz als erlöste Menschheit verdankt. Sie erinnert uns an den Tod des Herrn. Die Eucharistie besitzt allerdings etwas, was sie von jedem anderen Gedächtnis unterscheidet: Sie ist Gedächtnis und Gegenwart in einem, und zwar eine reale Gegenwart, nicht eine geistige; sie macht die Person wirklich gegenwärtig, auch wenn diese unter den Gestalten von Brot und des Wein verborgen ist. Der "Memorial Day" kann die Gefallenen nicht zum Leben erwecken, und das "Gandhi Memorial" kann Gandhi nicht lebendig machen. Genau das vermag aber das eucharistische Gedächtnis, an das die Christen glauben, in Bezug auf Christus.

Nach all diesen schönen Dingen, die wir über das Gedächtnis gesagt haben, müssen wir nun aber auch auf eine ihm innewohnende Gefahr hinweisen: Das Gedächtnis kann leicht zu steriler und lähmender Nostalgie verkommen. Das geschieht dann, wenn der Mensch ein Gefangener der eigenen Erinnerungen wird und damit endet, in der Vergangenheit zu leben. Das eucharistische Gedächtnis gehört in keiner Weise zu derartigen Erinnerungen; es führt es im Gegenteil in die Zukunft! Nach der Wandlung bekennt das Volk: "Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit." Eine Antiphon, die dem heiligen Thomas von Aquin zugeschrieben wird - "O sacrum convivium" -, definiert die Eucharistie als das heilige Mahl, in dem "Christus empfangen und das Gedächtnis seines Leidens gefeiert wird, sich die Seele mit Gnade erfüllt und uns das Pfand der zukünftigen Herrlichkeit gegeben wird".

[ZENIT-Übersetzung des italienischen vom Autor zur Verfügung gestellten Originals]
@Andrea M.@
00sabato 23 giugno 2007 23:20
Zum elften Sonntag im Jahreskreis
P. Raniero Cantalamessa: Umkehr bedarf der Begegnung mit Gott
Kommentar zum Evangelium des elften Sonntags im Jahreskreis C


ROM, 15. Juni 2007 (ZENIT.org).- Umzukehren ist nicht mühsam, sondern etwas Erfreuliches. Das bekräftigt der Prediger des Päpstlichen Hauses, P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., in seinem Kommentar zu den Lesungen des kommenden Sonntags (2 Sam 12,710,13; Gal 2,16.1921; Lk 7,368,3). Umkehr setze allerdings die Begegnung mit Gott voraus, dem Schatz, für den man alles andere aufzugeben bereit ist.

* * *

Es kam eine Frau mit einem Gefäß voll wohlriechendem Öl

Es gibt Evangeliumsstellen, in denen die Lehre so sehr an die Entfaltung der Handlung gebunden ist, dass sie getrennt von ihr nicht voll erfasst werden kann. Die Episode der Sünderin im Haus des Simon, die im Evangelium des elften Sonntags im Jahreskreis zu lesen ist, gehört zu diesen Stellen. Sie hebt mit einer stillen Szene an; es gibt da keine Worte, sondern nur stille Gesten: Es tritt eine Frau mit einem Gefäß voll wohlriechendem Öl ein; sie kauert sich zu Jesu Füßen nieder, sie nässt sie mit ihren Tränen, sie trocknet sie mit ihrem Haar, küsst sie und salbt sie mit dem Öl. Es handelt sich fast mit Sicherheit um eine Prostituierte, denn das war damals die Bedeutung des Wortes "Sünderin", wenn es für eine Frau gebraucht wurde.

Hier angekommen, verlegt sich das Augenmerk auf den Pharisäer, der Jesus zum Essen eingeladen hatte. Die Szene ist noch immer ohne Worte, allerdings nur dem Anschein nach. Der Pharisäer "spricht zu sich" - er spricht also: "Als der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, dachte er: Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müsste er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lässt; er wüsste, dass sie eine Sünderin ist."

An dieser Stelle des Evangeliums ergreift Jesus das Wort, um sein Urteil über das Handeln der Frau und die Gedanken des Pharisäers zu äußern, und zwar mit einem Gleichnis: "Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig. Als sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, erließ er sie beiden. Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben? Simon antwortete: Ich nehme an, der, dem er mehr erlassen hat. Jesus sagte zu ihm: Du hast recht."

Jesus gibt vor allem dem Simon die Möglichkeit zu erkennen, dass er wirklich ein Prophet ist, da er die Gedanken seines Herzens gelesen hat. Gleichzeitig bereitet er mit dem Gleichnis alle auf das vor, was er zur Verteidigung der Frau sagen wird. "Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe. Dann sagte er zu ihr: Deine Sünden sind dir vergeben."

In diesem Jahr begehen wir den 800. Jahrestag der Bekehrung des heiligen Franz von Assisi. Was haben die Umkehr der Sünderin aus dem Evangelium und jene des Franziskus miteinander gemeinsam? Nicht den Ausgangspunkt, sondern das, wohin sie gelangen, was bei jeder Umkehr das Wichtigste ist: Wenn man von Umkehr spricht, so richtet sich der Gedanke nunmehr leider instinktiv auf das, was einer verlässt: die Sünde, ein unordentliches Leben, den Atheismus. Das ist aber nicht die Ursache für eine Bekehrung.

Wie es zu einer Umkehr kommt, wird von Jesus im Gleichnis vom verborgenen Schatz genau dargelegt: "Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker." Es steht nicht geschrieben: "Ein Mann verkaufte alles, und machte sich auf die Suche nach einem verborgenen Schatz." Wir wissen, wie die Geschichten ausgehen, die so beginnen. Einer verliert das, was er hatte, findet aber keinen Schatz. So entstehen Geschichten über Enttäuschte und Visionäre. Nein: Ein Mann hatte einen Schatz entdeckt und gerade deshalb verkaufte er alles, was er besaß, um ihn zu kaufen. Mit anderen Worten: Man muss den Schatz gefunden haben, um die Kraft und die Freude zu haben, alles zu verkaufen. Und wenn wir über die Metapher hinausgehen: Man muss zuerst Gott begegnet sein - dann wird man die Kraft haben, alles zu verkaufen. Man wird es "voller Freude" tun, wie jener Entdecker, von dem das Evangelium spricht. So geschah es für die Sünderin aus dem Evangelium und für Franz von Assisi: Beide sind Jesus begegnet, und das hat ihnen die Kraft verliehen, sich zu ändern.

Ich habe gesagt, dass der Ausgangspunkt der Sünderin im Evangelium und des Franziskus verschieden war, aber das ist vielleicht nicht ganz richtig. Von außen gesehen hat es den Anschein der Verschiedenheit, im Grunde war es aber dasselbe: Die Frau und Franziskus - genauso wie wir alle - waren auf der Suche nach dem Glück, und sie bemerkten, dass das Leben, das sie führten, sie nicht glücklich machte, sondern eine tiefe Unzufriedenheit und Leere in ihrem Herzen hinterließ.

Dieser Tage las ich die Geschichte eines berühmten Konvertiten des 19. Jahrhunderts, Hermann Cohen, einem brillanten Musiker, der als Wunderkind seiner Zeit in den Salons von halb Europa angebetet wurde. Eine Art junger Franziskus der Moderne. Nach seiner Umkehr schrieb er einem Freund: "Ich habe das Glück überall gesucht: im eleganten Leben der Salons, im betäubenden Lärm der Tänze und Feste, im Ruhm als Künstler, in der Freundschaft mit berühmten Persönlichkeiten, in der Sinneslust. Jetzt habe ich das Glück gefunden. Mein Herz läuft über, und ich möchte es mit dir teilen& Du sagst: "Ich aber glaube nicht an Jesus Christus." Ich antworte dir: Auch ich glaubte nicht, und deshalb war ich unglücklich."

Die Umkehr ist der Weg zum Glück und zu einem vollkommenen Leben. Sie ist nicht etwas Mühseliges, sondern höchst erfreulich. Sie ist die Entdeckung des Schatzes.


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